A New Years Night Concert, Teil V (Constanze) – Die Kraft eines wundervollen Gedankens

Constanze hatte nicht den Hauch einer Ahnung, ob Matt das ernst gemeint hatte. Aber so, wie sie ihn einschätzte, machte er keine Scherze, wenn er sie so ansah. Sie schwitzte auf einmal, hatte das Gefühl, ihr Gesicht brannte, leuchtete rot auf vor Erregung. Ihr Herz begann, zu klopfen. Das waren alles Zeichen dafür, dass Matt sie wirklich getroffen hatte. Sie nahm das wirklich ernst, was Matt ihr da gerade eröffnet hatte. Nach dem Inneren eines Sterns wollte Matt nun ganz offensichtlich in ihr eigenes Innerstes blicken, und das mit dem gleichen, fast studierenden Blick. Nein, dachte sie sofort, er hatte den Stern nicht nur studiert, er hatte sich auch völlig auf ihn eingelassen, sich gefühlsmäßig in ihm eingefunden. Und er wollte ihre Gefühle genauso erleben, wie er das gestern Nacht auch schon getan hatte. Constanze schluckte, kam aber kaum zum Nachdenken, denn eine der anderen Türen öffnete sich, und eine schlanke, sehr elegant in ein enges, schwarzes Kleid gekleidete Frau kam herein. Sie war ungefähr in ihrem Alter, schätzte Constanze, hatte schwarze, kinnlang  geschnittene Haare, dunkle, lebhafte Augen und ein symmetrisches, apart geschnittenes Gesicht. Sie lächelte Constanze sofort freundlich an.

„Hallo Constanze! Ich bin Nina“, stellte sie sich vor, und Constanze hatte nicht den Hauch eines Eindrucks, als wäre Nina nicht aufrichtig erfreut über ihre Anwesenheit hier.

Nina ließ sich auch durch ihr sprachloses Staunen nicht beirren. Sie war ganz offensichtlich zu Hause hier. Sie trug bequeme, schwarze Pumps, und auch das schwarze Kleid, so exklusiv es auch aussah, wirkte auf Constanze sehr bequem. Phantastisch wurde es eigentlich erst durch seine Trägerin, der es auf den Leib geschneidert zu sein schien, ohne dabei unbequem zu werden. Es besaß keinerlei Applikationen, bestach aber optisch sofort durch einen sehr guten, klassisch einfachen Schnitt und ein entsprechendes Material. Dazu trug Nina ein passendes weinrotes Bolerojäckchen, auf das dieselben Attribute zu trafen. Wer immer hier die Kleidung aussuchte, hatte ein gutes Auge und nutzte Kleidung, um die Trägerin hervorzuheben, nicht das Kleid. Constanze kannte sich mit teurer Mode aus, sie übersah das mit einem einzigen Blick und registrierte es lediglich. Nina selbst war es, die ihre Aufmerksamkeit sofort auf sich zog.

„Ich habe mir gerade sagen lassen, du wärst im Moment ein wenig erbost“, sagte sie freundlich lächelnd und setzte sich zu ihr an den Bettrand.

„Ja, das kann man so sagen“, antwortete Constanze ihr spontan. Sie mochte die andere Frau sofort, auf der Stelle. Nina war freundlich, aber nicht nur das, sie war es wirklich ehrlich, sie begegnete ihr mit weiblicher Sympathie. Sie schien Constanze ebenfalls spontan sofort zu mögen. Constanze reagierte auf sie herzlich und mit einem sicheren Gespür für die andere, ihre weibliche Intuition sagte ihr das. Frauen hatten einfach einen anderen Zugang zueinander, wenn sie sich sympathisch waren. Und dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit und des besonderen Verständnisses füreinander brachte für Constanze ein tiefes Gefühl der Sicherheit mit sich. Begründen hätte sie das auch nicht weiter können, aber sie hatte den Eindruck, als hätte sie von Nina nichts zu befürchten. Ausgerechnet von Matts eigener Sklavin.

„Ich bin noch gar nicht so ganz fit“, bekannte sie der Fremden.

„Oh, soll ich dich noch ein wenig alleine lassen?“ Nina reagierte sofort mit ehrlicher Anteilnahme und etwas erschrocken. Constanze konnte es nicht glauben, aber die Entwicklung der Situation überrannte sie in diesem Moment völlig.

„Nein, nein“, beruhigte sie die andere deswegen ehrlich. „Bleib nur hier. Aber er ist ein Monster!!“, brach es aus Constanze heraus. Nina grinste, ihre Augen funkelten, aber immer noch freundlich und lebhaft. Es gab auch keinen noch so winzigen Augenblick, in dem nicht sofort klar gewesen wäre, auf wen Constanze sich da bezog.

„Ja, das ist er“, antwortete Nina sofort. „Aber womit hat er dich denn so aus der Fassung gebracht? Ich bin neugierig!“

„Ich habe eigentlich gedacht, ich könnte mich gut zur Wehr setzen, aber er hat einfach die besseren Karten. Er will, dass ich mich völlig fallen lasse. Und er hat mir auch beschrieben, wie er das anstellen will. Und das hat mir glasklar dabei gezeigt, dass er genau weiß, was er da sagt.“ Constanzes Tonfall war unwillkürlich empört, sie erklärte im Affekt auch nicht, worauf sie sich im Einzelnen genau bezog, aber Nina verstand sie dennoch sofort.

„Oh, was hat er denn genau mit dir vor?“, fragte sie sofort nach und lächelte noch freundlicher, richtig strahlend, und immer noch war ihr Verhalten glaubhaft sympathisch Constanze zugewandt und voller weiblicher Anteilnahme.

„Er weiß genau, wie er das angehen muss“, stotterte Constanze weiter. „Und ihm ist jedes Mittel Recht, auch solche, die er sonst nicht anzuwenden pflegt.“

„Zur Not ja“, nickte Nina. „Da hast du völlig Recht.“

„Er will mir Lust bereiten, hier auf dem Bett und in deiner Gegenwart. Ich hab ihn gefragt, ja und dann?, was passiert dann?, ich konnte mir das gar nicht vorstellen!“ Es platzte so aus Constanze heraus, sie war völlig verwirrt, fast verstört.

„Ah, ok!“, meinte Nina, „und ?“

„Na ja, jetzt kann ich es mir vorstellen!“ Constanze hatte sich nicht im Griff. „Er schätzt meine Emotionen dabei sehr treffend ein, und als er mir die Situation schilderte, konnte ich von da aus selber weiter. Das wird ein Kampf für mich, ein echter Kampf bis aufs Blut!“

„Das heißt?“ Nina sah Constanze aufmerksam an und hörte ihr einfach nur gut zu. Und Constanze, die die fremde Frau ja eigentlich noch weniger kannte als Matt, fühlte sich zu ihr hingezogen, einfach, weil Nina Matt ja viel besser als sie selbst kannte und ihr trotzdem in allem bisher Recht gegeben hatte. Nina schien unabhängig zu denken, obwohl sie sich als Matts Sklavin bezeichnete. Und diese offensichtliche Unvoreingenommenheit, die Nina da an den Tag legte, machte sie für Constanze in diesem Moment zu der richtigen Gesprächspartnerin. Sie war ebenfalls eine Frau, sie konnte Constanze verstehen.

„Na ja, erst habe ich mich geschämt bei diesem Gedanken, wollte mich verbergen, hatte Angst davor.“ Constanze wurde Nina gegenüber immer offener, denn Ninas ruhige, lebhafte Augen zeigten ihr sowohl Mitgefühl wie auch Verständnis, eine Kenntnis dieser Sachlage, der Gefühle, die gerade in ihr tobten. „Dann kam aber Lust dazu, und das hat mich wütend gemacht, richtig und echt aggressiv ihm gegenüber. Wie kann er sich so etwas mir gegenüber herausnehmen?? Und an dieser Stelle hat er mich daran erinnert, dass er mich in dieser Nacht in den Käfig gesteckt hat. Er ist sehr wohl in der Lage, auch das mit mir tun!“

Nina musterte sie mitfühlend. „Du warst heute Nacht im Käfig? Bei diesen Temperaturen? Was hast du denn nur angestellt? So etwas macht mein Herr normalerweise nicht im Winter.“ Ihre klare Stimme war nun so distinguiert, dass Constanze klar wurde, diese Frau hatte einmal im Geschäftsleben gestanden oder tat das noch, sie war weder dumm noch ungebildet, ganz im Gegenteil. Sie fing an, ihr Gegenüber wirklich zu mögen. Sie senkte die Augen.

„Ich wollte mich von der alten Brücke in den Fluss stürzen, zur Neujahrsstunde. Dein Herr hat das verhindert.“

„Ah, ok,  ich verstehe“, antwortete Nina nur mit ruhiger Stimme, so, als wären ihr solche Gefühle nicht fremd. Constanze sah die fremde Frau wieder an und begegnete ihren tiefbraunen Augen. Tatsächlich musterte Nina sie jetzt eindeutig mitfühlend, aber nicht mitleidig. Constanze fühlte sich von ihr verstanden und ermutigt, weiter zu sprechen.

„Er hat mit mir einen Handel gemacht. Ich sollte ihm eine Nacht und einen Tag schenken, danach würde er mir bei allem helfen, was ich dann zu tun gedenken würde. Nur den Tod würde er mir nicht bringen. Und daran hat er mich eben erinnert.  Ich komme aus dieser Geschichte nicht heraus, wir zwei haben ein Abkommen!“

Nina legte ihre Hände beide in den Schoß und übereinander, streckte ihre Arme und ihren Rücken grazil durch, sah kurz von Constanze weg und schloss aufatmend die Augen, eine entspannte und friedliche Haltung. Sie sah überaus reizend aus für Constanze, wie sie da schlank und elegant neben ihr auf dem Bett saß. Dann richtete sie ihren Blick wieder auf Constanze. „Stimmt!“, antwortete sie nur und lächelte sie an.

„Also, ich komme aus dieser Geschichte nicht heraus, er will mir hier auf dem Bett die Beine öffnen und mir Lust bereiten. So, wie ich ihn kennen gelernt habe, werde ich mich dagegen nicht wehren können. Also werde ich mich zurückziehen, meinen Körper instrumentalisieren. Ich werde meinen Körper als reine Rüstung einsetzen, wie einen Schild. Dann ist es völlig egal, ob ich nackt bin. Aber dann ist da ja halt immer noch die Lust.“

„Oh, wie gemein!“, stimmte Nina ihr zu und sah sie weiter offen an.

„Und was macht er dann? Er nimmt dich, und führt mir mit dir vor, was ich bekommen könnte, wenn ich nachgebe…“

„Oh, der Schuft!“, stimmte Nina ihr sofort zu.

„Und an der Stelle hab ich zu ihm gesagt, du Ungeheuer, ehrlich, Nina, wenn er das schafft, dann ist er entweder ein echter Löwenbändiger …“

„Ah, deswegen kratzbürstig!“, warf Nina lachend ein.

„Oder ich bringe ihn danach irgendwann um….“, vollendete Constanze ihren letzten Satz. „Ja, genau“, stimmte sie Nina dann zu, „ich wollte ihm ans Leder! Ich hab zu ihm gesagt, mein Geist ist wie ein Raubtier im Käfig, ich habe Übung mit so einer Situation, ich gehe an den Gitterstäben hin und her, ohne Ruhe, so lange, wie es eben dauert, bis ich einen Weg hinaus aus diesem Käfig finden kann…“

„Dann hättest du aber gleich uns alle drei auf dem Gewissen …..“, eröffnete Nina ihr immer noch mit ihrer klaren, ruhigen Stimme, „denn dann werfe ich mich dazwischen.“ Sie nahm Constanzes Äußerung schlicht und ergreifend ernst und antwortete ihr auch so, was Constanze nicht wenig beeindruckte.

Constanze musste lächeln. Nina hatte tatsächlich ihren Körperbau und ungefähr auch ihr Gewicht, aber nicht ihren Zorn in diesem Moment. Und Constanze wusste, wenn sie wirklich zornig war, konnte sie Berge versetzen. „Hm, dich verschone ich dann“, grinste sie die andere humorvoll an. „Dich räume ich dann aus dem Weg…“

Nina musterte sie weiter und lächelte nicht zurück, sondern blieb ernst. „Ja, das mag sein, dass du das tun willst, Constanze, aber ich werde meinen Herren und Partner schützen.“

„Hm, ja,….“, antwortete Constanze nachdenklich. Das war natürlich irgendwie auch völlig klar und eindeutig Ninas Recht. Sie sah, Nina meinte das ernst, auch wenn sie sie weiter anlächelte. „Bring mich nicht auf Ideen, Nina…“

„Was denn für welche?“ Nina legte den Kopf leicht schräg, als sie Constanze neugierig in die Augen sah.

Constanze lachte auf. „Du, überlasse das lieber Matt!“, empfahl sie ihr wieder herausfordernd grinsend, „ich meine, du wirst schließlich nicht immer dabei sein!  Er muss sich schon selber wehren können!“

Ninas Lächeln vertiefte sich. „Ach, du, ich kann auch gut mit Frauen umgehen, also …..“

„Wie bitte?“ Constanze sah der anderen in die Augen, und sie vermerkte wieder für sich ihr freundliches Lächeln und ihre zugewandte, zuvorkommende Haltung ihr gegenüber. Nina reagierte in fast jedem ihrer Sätze anders, als Constanze das erwartet hätte, auch jetzt wieder. Sie machte sie nicht darauf aufmerksam, dass Matt sich sehr gut alleine verteidigen konnte, sie reagierte tatsächlich ohne jede sichtbare Abwehr auf sie und nahm sie einfach ernst. Das konnte sie unmöglich spielen. Sie ging auch nicht auf Constanzes aggressiven Tonfall ein, soviel war ihr sofort klar, als sie ihr ins Gesicht sah. Nina schien sie eher zu mögen, und ihr Plan sah wohl eher so aus, dass sie vor hatte, Constanze durch ihre Liebe, ihre Zuneigung, die sie ihr entgegen brachte, von einem Attentat auf Matt abzuhalten. Nina schien überhaupt nicht eifersüchtig zu sein, und tatsächlich war Constanze das auch nicht auf sie. Hier herrschte definitiv keine Konkurrenzsituation um Matt, so viel war Constanze auch sofort klar. Das war schon vorstellbar, unter diesen Umständen, dass Nina gut mit anderen Frauen hier im Haus umgehen konnte, denn wie konnte man einem anderen Menschen besser begegnen als mit ehrlich empfundener Liebe? Wenn Nina nicht eifersüchtig war, dann war sie unter Umständen erfreut über weibliche Gesellschaft in diesem Haus, das Constanze ja doch recht groß zu sein schien. Matt hatte sicher nicht sie selbst als erste hierher gebracht. Wenn er das mit anderen Frauen auch schon getan hatte, dann war Nina diese Situation vertraut, und genau so reagierte sie ja auch. Souverän und unerschrocken. Nina war definitiv keine schwache Frau.

Constanze lachte wieder. „Ach ja, das hab ich ganz vergessen, ach du Schreck…“, stimmte sie ihr zu und signalisierte ihr gleichzeitig damit das Ergebnis ihrer Überlegungen. „Stimmt…“ Ihr wurde leicht schwindelig, diese komplett andere Denkweise von Nina, in die sie sich gerade erfolgreich hinein versetzte, war keinesfalls unsinnig, aber der ihren so fremd, dass sie sich fühlte, als würde sie plötzlich Doppelbilder sehen. Zwei völlig verschiedene Sehweisen ein und derselben Situation.

„Siehst du?“ Ninas Augen funkelten, ihr ganzes Gesicht strahlte, als würde ihr diese Situation eher Freude bereiten und keinerlei Stress. So, als wäre diese ganze Sache ein kniffeliges Spiel, dass es zu lösen galt.

„Hmm….“ Constanze musste nachdenken. Diese Situation hier wurde für sie immer schlechter überschaubar und auch immer erstaunlicher, fremder. Es kam ihr so vor, als würden in diesem Haus ganz andere Maßstäbe für zwischenmenschliche Beziehungen herrschen. „Also, ehrlich gesagt kann ich da im Moment nicht weiter, weil ich echte Zuneigung auch so beantworte, immer. Das ist wirklich eine starke Waffe von dir, deine Liebe, daran habe ich gar nicht gedacht! Damit hätte ich auch niemals gerechnet, nicht im Entferntesten! Was für eine Konstellation….“

„Tja!“, meinte Nina nur, und ihre Augen funkelten jetzt eindeutig belustigt. „Ich sage dir doch, du musst erst an mir vorbei!“

„So langsam bekomme ich Manschetten…“, murmelte Constanze, und das war die reine Wahrheit. So war diese Konstellation für sie fast nicht mehr überwindbar.

„Und da Matt mir ja eh sagt, was er will, setzt er mich dann eben auch gegen oder für dich ein“, schickte Nina nach.

„Die hatte ich gestern schon zeitweilig“, murmelte Constanze weiter. Sie meinte die Angst, die Matt ihr zu machen begann, und dachte an die Situation auf der Brücke. Ihr Blick irrte jetzt ab. „Ich hab den Eindruck, das wird für mich eine echte Mutprobe werden… Das macht mir Bauchschmerzen jetzt…“

Nina verstand sie auch ohne Nachfrage weiterhin. „Du musst es doch einfach nur zulassen“, drang ihre Stimme sanft zu Constanze vor. „Der Rest kommt dann von ganz alleine.“

Constanze sah wieder auf. „Zulassen, sagst du?“, fragte sie empört gegen. „Ufff… ja, das ist so ein Problem. Wenn es ans Zulassen von etwas geht, das ich nicht will, dann wird es schwierig. Und ihm gefällt das, je heftiger, umso besser, das hab ich eben gespürt.“ Constanze konnte es kaum fassen, dass sie ein Gespräch, das sie eigentlich mit Matt hätte führen müssen, nun gerade mit seiner Sklavin führte, einer Frau, die aus tief empfundener, gebender Liebe in seinem Sinne sprach, die aber auch sie selbst zu mögen schien.

„Ich glaube, ihm geht es da nur darum, dass du die Sklavin in dir zu und herauslässt“, erklärte Nina ihr.

Constanze richtete sich fast kerzengerade im Sitzen auf und sah die andere fast fassungslos an. Aber das, was sie sagte, und die Art, wie sie es sagte, das war alles absolut schlüssig für sie. Und es gab für Constanze nicht den geringsten Grund, der anderen gegenüber unfreundlich zu werden oder sie weniger zu mögen, als sie es jetzt schon tat. Ganz im Gegenteil, ein so loyaler Mensch musste auch sympathisch sein in ihren Augen. „Du, ich brauche einen Moment Pause“, presste sie dann hervor. „Das ist zu viel für mich, ich muss erst einmal wieder von dem Baum herunter klettern, auf dem ich gerade sitze…“

Sie lächelte die andere fast hilfesuchend an und Nina öffnete auch schon den Mund, doch dann ging auf einmal die Tür wieder auf, hinter der Matt vorhin verschwunden war.

**

Matt überblickte die Situation, die er vorfand, mit einem einzigen, langen Blick. Er hatte sich in der Zwischenzeit frisch gemacht und etwas Bequemes angezogen. Er sah Constanzes hilfesuchenden Blick, sie sah ihn so erschrocken und mit so glänzenden Augen an, dass er fast dachte, ihr wären die Tränen gekommen. Und seine Nina war gerade dabei, ihr zur Hilfe zu eilen, er kannte seine Sklavin nur zu gut. Er ging mit ein paar energischen Schritten auf das Bett zu, in dem Constanze noch immer saß. Er trat auf die andere Seite, deckte Constanze einfach ganz auf und schob wortlos seine Arme unter ihre Taille und ihre Knie. Er hob sie in seine Arme wie in der Nacht zuvor, umrundete mit ihr das Bett und setzte sich zu Nina, ließ Constanze in seinen Armen herunter auf seinen Schoß rutschen und umfasste sie dann mit beiden Armen. Er warf einen lächelnden Seitenblick zu Nina, die ihn voller Liebe in ihren dunklen Augen ansah.

„Ihr unterhaltet euch noch?“ Seine Frage war eigentlich mehr eine Feststellung.

„Du bist eine ganz Nette!“, sagte Constanze gepresst zu Nina. Nina wiederum lächelte sie an.

„Danke dir“, sagte sie einfach.

Constanze ließ sich jetzt aufatmend in Matts Arme und an ihn sinken. Er fühlte ihren raschen Herzschlag, sah ihre aufgewühlten Augen, ihre gerötete Haut, fühlte ihre schnelle, flache Atmung. Constanze war voller Angst und Unruhe, das war mehr als offensichtlich, sie rang gerade um Fassung.

„Constanze, Liebes, bitte sieh mich an“, wies er sie leise an. Constanzes Blick irrte zu seinem Gesicht, dann fiel sie in seine Augen. Ihre rasche Atmung wurde etwas ruhiger.

„Liebes, weißt du noch? Ich habe dich auf der Brücke aufgelesen. Denkst du, das wäre ein leichter oder angenehmer Tod dort unten im eiskalten Wasser geworden?“ Er sah ihr ruhig in die glänzenden Augen, sprach mit ruhiger, sanfter und dunkler Stimme, so, wie er mit seinen Frauen sprach. Sie lagen ihm am Herzen, mehr als irgendein Mensch sonst, und wer ihn besser kennen lernen konnte, wusste das auch.

„Nein“, murmelte Constanze erschüttert, „das wohl ganz sicher nicht.“ Er nickte, griff sie mit einem Arm so, dass er mit der anderen Hand ihr Gesicht streicheln konnte.

„Du hast es im Käfig zu spüren bekommen, Liebes“, sprach er langsam weiter. „Ich weiß, wie ausgekühlt dein Körper war, ich habe dich erst herausgeholt, als du fast schon das Bewusstsein verloren hättest. Und jetzt denkst du, es könnte schlimmer sein, deine Lust zuzulassen, meine Schöne? Schlimmer als DAS?“

Constanze schluckte einmal trocken und schmiegte aufatmend ihre Wange in seine Hand. Er lächelte sie freundlich an. „Aber da kann ich doch gar nichts tun, meine Reaktion auf so etwas kann ich doch nicht steuern!“ Ihre sanfte, frauliche Stimme hatte wieder einen flehenden Unterton.

„Liebes, denkst du denn, das wäre mir nicht klar?“, erwiderte er und griff nun fest in ihre Haare dicht an ihrer Kopfhaut, so wie in der vergangenen Nacht im Käfig, aber ohne ihr dabei weh zu tun. Er zwang sie nur, ihn anzusehen, und sie war auch voll bei ihm.

„Liebes, höre mir gut zu!“, mahnte er sie leise. Ihre im Sonnenlicht aufleuchtenden grünen Augen waren ganz auf seine gerichtet und weit geöffnet. Er zog ihren Kopf ein wenig zurück, so dass sie ihm ihren Hals in einer grazilen Pose präsentierte. „Du hast dein Leben wegwerfen wollen heute Nacht. Hast du dich noch nie gefragt, warum wir dieselben Fehler immer und immer wieder machen? Gesellschaftliche Regeln haben dich auf diese Brücke getrieben. Denkst du, das war die richtige Reaktion von dir auf die Zwänge der Gesellschaft?“

Jetzt liefen Constanzes Augen tatsächlich über. „Nein, aber ich habe keinen Ausweg mehr gesehen“, bekannte sie ihm leise und mit rauer Stimme, schluckte einmal schwer. Sie versuchte nicht, sich zu verteidigen und sie wollte auch kein Mitleid. Es waren tief empfundene Gefühle, die Constanze so reagieren ließen. Nicht nur Nina und Matt, alle könnten Constanze in diesem Moment ansehen, wie es bei diesen Worten gerade in ihr aussah. Ihr Handeln auf der Brücke war ihr Eingeständnis eines Totalversagens, eines Totalschadens ihres bisherigen Lebens gewesen, und das wusste Constanze auch.

„Hast du dich das niemals gefragt, Liebes? Wieso wir dieselben Fehler immer und immer wieder machen?“, wiederholte Matt seine Frage mit sanfter Stimme. Constanze antwortete ihm nicht, leckte sich nur einmal nervös über die Lippen. Aber er hatte auch nicht mit einer Antwort gerechnet.

„Gesellschaftliche Regeln sind Konventionen, Liebes. Von Menschen für Menschen gemacht. Es gibt keine naturgegebene Ordnung. Alle Konventionen können überwunden werden, wirklich ALLE. Das muss man nur erst begreifen. Was allerdings keine Konvention ist, das ist, dass wir von unserer Geburt bis zu unserem Tod mit anderen Menschen verknüpft sind. Unsere Leben gehören nicht nur uns alleine. Wir sind miteinander verbunden, Liebes, wir alle. Ob wir das nun einsehen oder überhaupt wollen oder eben nicht. Wir können aber selber entscheiden, wie wir diese Verbindung zueinander gestalten wollen. Ich kenne deinen Ehemann, Liebes, er gestaltet die meisten seiner Verbindungen als Konkurrenzsituation. Aber wenn es so aussehen sollte, als würde uns beide so ein Verhalten von ihm voneinander trennen können, dann ist das eine Illusion, meine Schöne. Nur durch die Augen eines anderen ist es uns möglich, uns selbst zu sehen. Du kennst die Spiegelung deiner Persönlichkeit durch deinen Mann, Constanze. Gib dir selber die Möglichkeit, dich durch meine Augen zu sehen.“ Er unterbrach sich und lächelte Constanze an. Sie erwiderte nichts.

„Konventionen sind nichts anderes als Grenzen, Constanze. Du hast dein ganzes bisheriges Leben damit zugebracht, sie zu erlernen. Aber Grenzen sind eigentlich dazu da, um überschritten zu werden. Das Wesen unseres Lebens und unseres Seins liegt in den Konsequenzen unserer Worte und Taten.“ Er hatte den letzten Satz langsam gesprochen und betont, lächelte dabei  in ihre aufgewühlten Augen und ließ seine Worte einen Moment sinken.

„Wie besiegt man eine Idee, Liebes?“, fuhr er dann mit eindringlichen Worten fort. „Die Idee von Liebe und von Freiheit in deinem Geist und deinem Herzen?“ Er hielt einen Moment inne. Als Constanze noch immer nicht antwortete, fuhr er fort. „Eine Idee kann man nur mit einer anderen Idee besiegen. Wenn du also Liebe und Freiheit suchst, dann suchst du sie im Tod vergebens. Mit meiner Geige habe ich dir auf der Brücke und im Käfig eine andere Möglichkeit gezeigt, dich über diese Grenzen hinweg zu setzen. Und diese Möglichkeit heißt Vertrauen, fallen lassen. Ich führe dich über deine Grenzen hinweg. Ich weiß, dass sie da sind, ich werde behutsam und mit der vollen Verantwortung mit dir umgehen. Aber die echte Liebe und die Freiheit findest du erst jenseits deiner Grenzen. Und Nina und ich, wir beide wissen das.“

Wieder schluckte Constanze nur hart. Seitdem Matt sie gestern Nacht angesprochen hatte, hatte er sie in Erstaunen versetzt, fortwährend, hatte sie um ihre Fassung gebracht und in ihren Anschauungen schwankend werden lassen. Und jetzt fasste er quasi zusammen, was er sich gestern Nacht schon gedacht haben musste. Er nickte nur, als habe er ihre Gedanken lesen können. Wahrscheinlicher war, dass er sie gerade nachvollzog.

„Wenn du Nina nach dem Überschreiten ihrer Grenzen fragen wirst, dann wirst du von ihr hören, welchen Kampf das für sie bedeutet hat.“ Wieder unterbrach er sich, legte seine Hand einen Moment um Ninas Wange, sie lächelte ihm wieder zu und nickte nur.

„Jeder Mensch muss dabei kämpfen, Constanze. So ganz ohne Kampf kann es niemand. Ich habe vor, dir heute dabei zu helfen, Kleines. Das haben wir beide gestern Nacht so ausgemacht. Aber du bist nicht meine Gefangene. Wenn du gehen willst, dann steht dir das jetzt und hier frei. Aber bedenke, bevor du antwortest: Gestern Nacht haben die Klänge meiner Geige deinen Geist erfüllt, im Moment sind es wohl eher Pauken und Trompeten. Was hättest du lieber in deinem Herzen?“

Wieder schluckte Constanze. „Du bleibst bei mir, Matt?“, fragte sie ihn dann leise. „Du zwingst mich zu nichts, was mir Schaden zufügen würde?“

„Was hätte ich denn davon?“, hielt er lächelnd gegen. „Du wirst kämpfen müssen heute, soviel ist sicher. Aber wenn du diesen Kampf beendet hast, dann habe ich dich gelehrt, dich wirklich ganz fallen zu lassen, in meine Hände. Bei mir bist du gut aufgehoben, du kannst mir völlig vertrauen, ich weiß genau, was ich tue. Wo du jetzt noch keine Lösung siehst, wird deine ganze Weltsicht sich verändert haben. Ein neuer Weg für dich am Neujahrstag. Ich wüsste kein passenderes Datum. Und wenn du es geschafft hast, eine andere Konsequenz aus deinen Worten und Taten zu ziehen als bisher, letzten Endes als in der letzten Nacht, dann kannst du fürs erste hier bei mir bleiben. So lange du möchtest. Wir informieren deinen Mann, aber daran ändern wird er nichts können. Du bist hier völlig sicher. Du wirst alle Zeit der Welt haben, um dein Leben zu überdenken und das Wesen deines Lebens zu ändern.“

„Und du meinst, das muss so sein, wie du es mir angekündigt hast?“, fragte Constanze ihn.

„Mein Liebes, du hast Kräfte tief in dir, die bisher allen verborgen geblieben sind, sogar dir selber. Die will ich frei legen. Wir werden beide sehen, was dabei zu Tage tritt. Du bist eine leidenschaftliche Frau, und genau das hat dich bis auf die Brücke getrieben. Es kommt nicht darauf an, was für ein Bild du selber von dir hast, Liebes, vertraue einfach auf das Bild, das ich von dir habe. Ja, und genau deswegen muss es so sein und nicht anders. Du musst aufhören, um Beherrschung um jeden Pries zu kämpfen, und du musst es lernen, dein wahres Wesen zuzulassen. Und du bist an mich geraten. Ich persönlich glaube nicht an Zufälle im Leben. Ich kann sehen, dass sich dieser Kampf um deine Seele lohnt.“

„Aber ich habe Angst“, flüsterte sie. Matt nickte nur.

„Wenn du die nicht hättest, dann wäre es keine Grenze, Liebes. Angst gehört dazu. Denke an das, was ich dir gesagt habe. Du hast auf einer Brücke gestanden, als du eine Konsequenz ziehen wolltest, eine endgültige. Und das Wesen deines Lebens liegt genau in diesen Konsequenzen, die du aus dem ziehst, was dir widerfahren ist. Eine Brücke ist eine Querung, und sie ist gut zu verteidigen gegen angreifende Feinde. Du darfst jetzt nicht nachgeben. Wenn du im Kampf um deine Brücke wirklich unterliegen solltest, dann war es zumindest ein ehrenvoller Kampf. Aber du wirst nie wissen, was du eigentlich verteidigt hast, wenn du jetzt einfach aufgibst. Wir sind alle eingebunden in die gewaltigen Kräfte unseres Kosmos. Wir bestehen alle aus Sternenstaub, das macht uns alle wertvoll. Unsere Bestimmung ist die Freiheit, nicht die Begrenzung. Wenn eine Sonne stirbt, wird sie zu einem leuchtenden Diamanten am Himmel. Alles ist endlich, nicht nur unsere Leben, nicht nur unsere Sonne, selbst unser Universum ist das. Aber spätestens, wenn es so weit ist, dass die Lichter am Himmel eines nach dem anderen verlöschen, dann solltest du wissen, wer du wirklich bist, mein Liebes. Diese Erkenntnis kannst du mitnehmen, wenn du einmal stirbst. Den Kampf, den du um diese Erkenntnis und um die Freiheit gekämpft hast, der wird zu einem Teil von dir, ein untrennbaren. Was dann kommt, wenn die Dunkelheit einsetzt, das weiß ich auch nicht. Aber ich weiß, dass wir uns jetzt, wo unser Himmel noch voller Lichter ist, gegenseitig helfen können. Und ich weiß, dass genau das auch im Grunde unsere Daseinsberechtigung hier auf dieser Erde ist. Kannst du das glauben, mein Liebes?“

Constanze nickte nur. Ihr fehlten die Worte, aber sie hatte die Bilder in ihrer Seele. Wieder hatte Matt kräftige Farbstriche auf ihren Himmel gemalt, er hatte sich auf wirklich wunderbare Gedanken bezogen. Und Worte brauchte es in diesem Moment nicht mehr. Aber eine Frage hatte sie dann doch noch, und die hatte sie Matt schon gestern Nacht gestellt.

„Wer bist du?“, fragte sie leise und sah ihm in die blauen Augen.

Er lachte auf, antwortete ihr aber ernsthaft. „Letzten Endes bin ich das, was ich in deinen Augen lesen kann, wenn du mich ansiehst, mein Kätzchen. Ansonsten bin ich vielleicht besonders, aber nicht grundsätzlich anders als alle anderen auch. Vielleicht kann ich nicht nur gut reden, sondern auch gut zuhören, wer weiß? Aber jetzt sollten wir dafür sorgen, dass du dich frisch machen und etwas Wärmeres anziehen kannst. Ich bleibe besser bei dir. Kommst du mit mir?“

Constanze sah an sich herunter und nickte nur. „So?“, fragte sie nur.

Matt nickte. „Also wenn es nach mir ginge, könntest du so bis ans Ende der Welt gehen, Liebes. Du siehst wunderschön aus. Aber wir besorgen dir doch besser etwas zum Anziehen. Und wenn unsere Zeit es heute zulässt, dann können wir heute Abend auf ein ganz privates Neujahrkonzert gehen, eines, wo dein Mann ganz sicher nicht auftauchen wird, genauso wenig wie einer seiner Geschäftsfreunde. Dann könntest du meine Geige einmal eingebunden in ein Orchester hören.“

Matt lächelte Constanze an.

„Und du tauchst da öfter mal mit gleich zwei Frauen auf?“

Wieder lachte er gut gelaunt auf. „Oh, das ist nicht das erste Mal, Liebes, aber ganz sicher ist das auch nicht so häufig, wie es dir vielleicht jetzt erscheinen mag. Gehen wir?“

Er ließ sie los. Constanze stand auf und wartete, bis Matt ihre Hand ergriffen hatte. Zu dritt strebten sie der Tür zu. Matt lächelte Constanze mit blitzenden Augen an. „Aber eines ist sicher, das wird ein spannender Tag heute!“

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©Matt

A New Year`s Night Concert, Teil II (Constanze) – Eiseskälte

(Liebe She, ich hoffe, das Netz hat ein Einsehen, es ist jetzt 20:00 am 04.01.2014, und ich bin fertig…)

(nein, leider nicht…)

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Constanze ließ ich von dem Fremden vertrauensvoll durch die Dunkelheit tragen. Er hatte sie gefesselt, doch es war seltsam, niemals hatte sie ein größeres Vertrauen zu einem Mann empfunden als gerade jetzt. Und das war so schön, so erleichternd, dass sie dieses Gefühl auch nicht hinterfragen wollte. Sie wollte es einfach nur genießen, und auch das war ganz neu für sie. Eigentlich schwieg ihr Verstand niemals, aber hier und jetzt tat er das. Der Verstand war ein großartiges Instrument des Menschen, aber sein Gefühl war sein ureigenes, innerstes Wesen, und das größte Geschenk, dass der Fremde ihr machen konnte, war, dass sie ihren Gefühlen nachgeben durfte in seinen Armen. Sie hatte keine Fragen mehr. Sie wusste, die würden wieder kommen, schneller, als ihr lieb sein würde, aber für diese magischen Augenblicke hatte sie keine.

Sie musste auch kein Interesse eines Mannes an ihrer Person entwickeln, ihre inneren Werte zu Schau stellen. Sie brauchte ihn nicht an ihrem eigenen, für ihn interessanten Leben teilhaben lassen, sie musste sich eben indirekt doch nicht nach seinen Vorstellungen richten, wenn auch um drei Ecken und von hinten durch die Brust ins Auge, so dass es niemandem klar war außer ihr selbst. Der Druck, ihr eigenes Leben für einen Mann so zu gestalten, dass er sich wünschte, daran teilhaben zu dürfen, der bedeutete, dass sie ihr eigenes Leben und Wesen eben doch nicht frei ausleben konnte, trotz all ihrer Freiheiten in ihrem Leben. Diesen Druck hatte der Fremde ihr genommen, denn er fragte sie nach nichts, noch nicht einmal nach ihrem Namen. Er fragte sie nicht danach, was ihr denn Spass machen würde, wofür sie sich begeistern würde, was sie erfüllen könnte. Sie musste ihn nicht durch ihre innere Begeisterung von etwas für sich einnehmen. Ein dummer Mann reagierte fast völlig schwanzgesteuert auf sie und richtete seine Begierden nach ihrem Äußeren, das war relativ einfach für sie zu händeln, so eigenartig sich das auch anhören mochte. Ein kluger Mann dagegen war das durchaus auch, aber er verlangte deutlich mehr als eine schöne Hülle. Tatsächlich war einem klugen Mann das Äußere gar nicht so wichtig, er mochte keine Puppe neben sich stehen haben. Ein kluger Mann interessierte sich vornehmlich für ihr Innerstes, und das war eine noch diffizilere Art der Zurschaustellung, wie Constanze es immer empfunden hatte, denn er gab es in der Regel nicht gleichermaßen zurück.

Einmal, in diesem kostbaren Moment, durfte sie fühlen, dass das alles nebensächlich und unnütz war, weil der Fremde es einfach zu wissen schien. Und das war noch so etwas, das sie lieber erst gar nicht hinterfragen wollte. Niemandem war wirklich klar, wie anstrengend es eigentlich war, eine „interessante Frau“ zu sein. Es war Neujahr, eine magische Nacht, da durfte sie die Fragen einfach ruhen lassen.

Das zweite Geschenk von ihm war seine einzigartig kostbare Geige. Er hatte sie ihr in die gebundenen Arme gelegt. Constanze hatte noch niemals eine Geige gehalten und war von den Sinneseindrücken, die ihr das Instrument vermittelte, wie gefangen. Außer der Wärme der weichen Rundungen des Klangkörpers besaß die Geige nämlich auch einen spitzen Steg, gespannte Saiten und einen filigranen, eckigen Hals, der nach oben leicht nach hinten gebogen war. Das kostbar gestaltete und gepflegte Holz strahlte eine innere Wärme aus, als ob all die Musik, die durch sie geflossen war, sie für einen Menschen, der das erkennen konnte, erwärmt hatte.

Sie hatten die Brücke schon zu zwei Dritteln überquert und standen nun im Dunkeln, als der Fremde stehen blieb und sich mit ihr in seinen Armen noch einmal dem Fluss zu wandte.

„Was ist denn mit deiner zerbrochenen Geige geschehen?“, fragte sie ihn leise.

Er sah einmal kurz auf sie herunter, dann ließ er seinen Blick wieder auf dem schwarz gurgelnden, tosenden Wasser ruhen. Schließlich holte er tief Luft. Letzte Feuerwerkskörper erhellten immer noch den Himmel in einer atemberaubenden Pracht, während sie dort standen.

„Es gibt Dinge, die werden durch einen Bruch schöner, durch das läuternde Feuer gereinigt, schöne Frau. Bei einer Geige ist das nicht so.“ Seine melodische Stimme klang entspannt, angenehm tief und nachdenklich. „Eine gute Geige wird sehr kunstvoll und handwerklich außerordentlich geschickt wie organisch aus dem Holz geformt, aus dem sie besteht. Bricht sie einmal, dann ist ihr Klang, ihre Sprache, ihre Seele gebrochen. Sie wird dann nie wieder so rein und voll erklingen wie vor dem Bruch. Ich habe sie in den Fluss geworfen in dieser Nacht, schöne Frau.“

Constanze schwieg für einen Moment schockiert und drückte die Stradivari in ihren Armen vorsichtig noch schützender an sich. „Und was geschah, als du so nach Hause zurück kehrtest?“

Wieder lächelte der Fremde versonnen, sein ganzes Gesicht erhellte sich, wenn er das tat. „Mein Vater war völlig aufgelöst, meine Teure. Er wusste nicht, wo ich hin gestürmt war, deswegen hatte er an der Tür gewartet, die halbe Nacht lang. Mein Vater ist ein sehr kultivierter Mann, ihm war schnell klar, was er getan hatte, als sein Zorn verraucht war. Er bereute es unendlich, er wollte mir eine Neue, noch Bessere schenken, er wollte mir meinen Willen lassen, alles wollte er tun, um seine Tat wieder ungeschehen zu machen.“

„Und?“, harkte Constanze leise nach. „Was das denn nicht das, was du wolltest?“

„Meine Schöne, ich bin ein Musiker, ich habe meine Geige über alles geliebt. Ihr ureigener Klang war meine Stimme. Ich wollte keine neue Geige, jedenfalls nicht in dieser verhängnisvollen Nacht, und auch nicht in der nächsten Zeit. Nein, ich kam meinem Vater ebenfalls entgegen, und mit der Zeit begann mich die Finanzwelt sogar zu interessieren.“

Er stockte, sah jetzt Constanze eindringlich in die Augen. In dieser Dunkelheit wirkten sie fast schwarz. „Aber ich habe mir einen Schwur geleistet. Ich brauche ja kein Haus abzubezahlen.“ Er lächelte bei diesen Worten. „So sparte ich mein erstes, selbstverdientes Geld, konsequent und so lange, bis ich mir eine neue Geige kaufen konnte. Ich hatte bis dahin noch nie eine Stradivari in der Hand gehalten, geschweige denn gespielt. Aber ich wusste, dass dieses wohl kostbarste aller Instrumente gelistet ist, alle noch vorhandenen Stradivaris sind mit ihrem Besitzer verzeichnet. Und dann fand ich eine Besitzerin, eine alte, sehr kultivierte Frau, eine Jüdin, die bereit war, mir ihre eigene zu verkaufen. In ihrer Jugend hatte sie mit ihr die Menschen verzaubert. Sie reichte sie mir wortlos an, und es ging wie eine warme Welle durch meinen ganzen Leib, als ich sie entgegen nahm. Ihr glattes Holz, die liebevolle Pflege, sie war einzigartig, das war mir auf der Stelle klar. Ich wagte es kaum, den Bogen anzusetzen, ich wagte es kaum, zu atmen.“

Wieder lächelte er, diesmal wie entrückt, er weilte mit seinen Gedanken in der Vergangenheit. „Die alte Dame lächelte mich so liebevoll an wie du jetzt, aber mit einer tiefen Weisheit. „Sie hat schon Jahrhunderte überstanden, Matthias“, sagte sie zu mir, „du verletzt sie nicht. Sie ist stark, sie lag nicht immer so gut geschützt in diesem Geigenkoffer. Nur Mut!“ „Wer sind Sie?“, fragte ich sie, so, wie du mich vorhin gefragt hast, Schöne. Sie lächelte nur und meinte: „Spiele, für dein eigenes Herz, deine eigene Seele, denn sie weint. Diese Geige kann sie heilen.“ Wieder unterbrach er sich und sah Constanze an. „In gewisser Weise hast du vorhin dasselbe wie sie zu mir gesagt, meine Liebe.“ Er lächelte sie sanft an.

„Dann trat sie einige Schritte zurück. Ich setzte die Geige wieder an mein Kinn, nahm den Bogen und strich ihn ganz zärtlich das erste Mal über die Saiten. Und ihre vollen, samtenen, getragenen Töne, so absolut vollkommen und einzigartig, nahmen mich sofort gefangen. Ich spielte, was mir in den Sinn kam, ich wurde mit und von meiner eigenen Musik, hörbar gemacht durch dieses vollkommene Instrument, davon getragen, sie verlieh mir Flügel. Als ich inne hielt, sah mich die alte Dame mit ihren verwässerten blauen Augen unverwandt an. Sie musste sich setzen, ein Diener sprang hinzu und stützte sie. Eine Träne lief ihr über die runzelige Wange.

„Ich kenne meine liebste Freundin nun schon mein ganzes Leben lang“, sagte sie dann leise und ergriffen zu mir, „aber so wie eben habe ich sie noch niemals weinen hören. Ich habe nicht mehr viel Zeit, und ich danke Gott, dass er mir rechtzeitig einen Erben für sie geschickt hat. Sie gehört dir, mein Junge, denn sie klingt, als würde sie lachen.“ Der Diener brachte ihr ein Döschen mit Tabletten, so dass ich Zeit hatte, mich wieder zu fassen. Aber von einem Kaufpreis wollte sie nichts wissen. „Diese Geige verkauft man nicht“, sagte sie mit einer immer schwächer werdenden Stimme. „Man reicht sie weiter. Nimm das Geld und tue damit ein paar ausgewählten Menschen etwas Gutes, ein paar, die es wirklich verdient haben, ein wunderbares Geschenk zu erhalten, ein paar Menschen, die bisher im Dunkeln standen. Das ist mein letzter Wille und gleichzeitig meine letzte Bitte an dich. Aber vergewissere dich vorher sorgfältig.“

Der Diener kam und reichte mir den Geigenkoffer, dazu eine Mappe mit Papieren, von denen sie ein paar zuvor unterzeichnet hatte. Die alte Dame schloss ermattet die Augen. „Sie müssen jetzt gehen“, sagte er leise zu mir und meinem Vater. „Madame ist glücklich. Alles Weitere bestimmen nicht mehr wir hier im Raum.“ Wir verließen ihr Anwesen. Mein Vater lächelte mich an, und auch seine Augen waren verräterisch feucht. „Ich fühle mich von einer Last befreit“, meinte er nur leise, „so kann ein Fehler, wie ich ihn damals begann, auch etwas so Besonderes hervor bringen.“ Ich sah ihn einmal leer schlucken. „ Du spielst, so wie du es damals vorgesehen hast, und ich werde anwesend sein. Jedes Mal, wenn du irgendwo auftrittst, werde ich anwesend sein. Ganz gleich, wo dich dein Weg hinführen wird, ich werde dir zuhören.“ Ich lächelte ihn an und nickte, aber das Rad der Zeit konnte er nicht zurück drehen. Er hatte mich in seine Welt geführt. Ich spielte niemals wieder auf meiner Geige, bis heute Nacht.“

„Du hast dein Schweigen für mich gebrochen?“, fragte Constanze ungläubig.

„Ja“, antwortete er schlicht. Dann wandte er sich endgültig vom Fluss und der Brücke ab und ging mit ihr seines Weges.

**

Matt hatte tatsächlich die Vergangenheit wieder zugelassen und fühlte sich erleichtert. Ein Geschenk, dass er der schönen Frau zurück zu geben gedachte. Er sah ihr in die leuchtenden Augen. Sie waren von einer überraschend anziehenden Sanftheit, genauso wie ihre Sprechstimme. Die Frau wirkte wie ein Vögelchen auf ihn, so zart und leicht. Aber sie war keineswegs schwach. Ihm war auch keineswegs entgangen, wie sorgsam und liebevoll sie mit seiner Geige umging, wie sie sie mit ihrem Leib zusätzlich vor dem Regen schütze. Seine schwarze Limousine stand unauffällig etwas abseits der Brücke. Er sah die fremde Frau die Augen aufreißen, als sein Chauffeur ausstieg.

„Nach hinten, Rob“, wies er ihn knapp an, und der Mann öffnete den hinteren Fonds. Matt hatte ihn polstern lassen, so dass eine schlanke Frau ohne Probleme und relativ komfortabel darin liegen konnte. Rob nahm ihr die Geige aus den Armen und verschwand mit ihr im Wagen. Matt sah die Frau in seinen Armen lächelnd an.

„Es geht dem Unbekannten entgegen, schöne Frau“, sagte er sanft zu ihr. „Bist du bereit dafür? Vergiss nicht, diese Nacht und der darauf folgende Tag gehören mir.“ Er sah sie etwas ängstlich nicken. Ohne Umschweife legte er sie in die vorgeformte Mulde in den Kofferraum, sie zog die Knie aus einem Reflex von selber an und lag nun, von zwei Mänteln gewärmt, im hinteren Kofferraum. Sie sah ihn verwirrt an, öffnete sofort den Mund für eine Frage. Er schüttelte nur den Kopf. „Keine Fragen, meine Schöne“, kam er ihr sofort zuvor. „Diese Unwissenheit, die du jetzt verspürst, wird in den nächsten vierundzwanzig Stunden dein Begleiter sein.“ Er sah es ihr an, es war etwas völlig Neues für sie, ihr kamen erste Bedenken, und doch war auch etwas Reizvolles an dieser Situation für sie. Er strich ihr zart die zerzausten, langen Haare aus dem Gesicht. „Lasse dich einfach darauf ein. Versuche, es zu genießen.“

Damit schloss er die Kofferraumtür, und sie lag im Dunkeln.

**

Sofort fühlte Constanze sich der Wirklichkeit entrissen. Sie hörte den Fremden in die Limousine steigen, dann schloss sich eine Wagentür, dann noch eine. Dies alles war so schnell über sie gekommen, dass sie kaum etwas hatte beobachten können. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie sich nicht in den Händen eines Triebtäters befand, aber `ziemlich sicher` bekam hier drinnen eine ganz neue Bedeutung. Kalt wurde ihr nicht, eine warme Belüftung sprang an. Sie fühlte sofort ihre nassen Haare sich erwärmen.

Etwas perplex galt ihr einziger Gedanke der Frage, wohin sie der Fremde nun brachte und was er mit ihr vorhatte. Sie hielt kurz die Luft an, aber sie war noch nie im Fonds eines Kofferraums gefahren worden, es war völlig sinnlos, eine ihr eventuell bekannte Strecke erraten zu wollen. Und wozu das eigentlich? Der Fremde entführte sie gerade, war das nicht schon immer einer ihrer geheimsten Träume gewesen? War das nicht aufregend? Sie spürte, wenn der schwere Wagen bremste, abbog und gelegentlich beschleunigte. Ihre Anspannung wich. Diese Limousine war sogar im Fonds komfortabel und ausgezeichnet gefedert, so legte sich Constanze so bequem wie möglich hin.

Ihr Zeitgefühl schwand. Sie begann, sich leicht zu fühlen. Sie schwebte und fiel, ihres Sehsinns völlig beraubt, in leichte Gedanken, leicht wie rote Kinderdrachen an einem blauen Himmel. Sie fühlte die Fremdbestimmung durch die Fesseln, und der beengte Raum tat dazu sein Übriges. Sie begann damit, sich fallen zu lassen, sie konnte an dieser Situation eh nichts ändern. Frieden breitete sich in ihr aus, und so konnte sie beginnen, auf das Wesentliche zu hören und zu achten.

Sie versank in Gedanken. Das Wagnis, das sie eingegangen war, wurde immer nebensächlicher, so lange sie so weiter fuhren. Dafür stiegen Assoziationen an das kalt brodelnde Wasser in ihr auf, an ihre panische Angst, herunter zu fallen. Und Gedanken an ihre Verbitterung, an ihr bisheriges Leben.

Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren, als der Wagen langsamer wurde und dann schließlich zum Stillstand kam. Der starke Motor erstarb leise. Sie waren wohl am Ziel angekommen. Gewiss hatte die Fahrt nicht so lange gedauert, wie es empfunden hatte. Sie lauschte. Außer den Geräuschen, die die beiden Männer machten, hörte sie jedoch nichts. Stille. Rauschender Wind, rauschende Blätter, ein leichtes Knarzen von Baumstämmen. Ein leiser Nachtvogelruf. Es war erstaunlich, wie viel man auf einmal hören konnte, wenn man seines Sehsinns beraubt worden war.

Und dann hörte sie auf Kies knirschende Schritte, die sich dem Kofferraum näherten.

**

Matt öffnete die Kofferraumtür und sah Constanze ins Gesicht. Sie blinzelte, geblendet nach der völligen Dunkelheit, aber nicht lange, denn es war auch hier nicht viel heller. Die Augen der fremden Schönheit waren ohne Angst. Das war gut. Er strich ihr wieder über die seidigen Haare, ließ ihr und sich selbst einen Moment Zeit, diese neue Situation auf sich wirken zu lassen. Matt musterte ihre zusammengerollte Gestalt. Sie wirkte entspannt auf ihn, fast hätte er gesagt, angekommen. Aber er wusste nur zu gut, dass dem nicht so war, nicht so sein konnte, und das würde sich auch jetzt sofort schon zeigen. Er fasste sie sorgsam unter den Schultern und dem Becken und hob sie heraus, setzte sie auf den Rand des Kofferraumes. Sie schwankte leicht, wäre wohl gefallen, wenn er sie nicht gestützt hätte.

„Wo sind wir denn?“, fragte sie ihn leise.

„Alles zu seiner Zeit“, antwortete er ihr lächelnd und ruhig, wies sie damit gleichzeitig an. „Jetzt erst einmal sollst du das nicht wissen, schöne Frau.“

Er zog einen dritten, schwarzen Schal aus der Tasche und nahm ihr die Sicht wieder vollends. Sie erschrak, begann auch, sofort zu schwanken, rutschte dabei durch ihre hektischen, unsicheren Bewegungen vom Rand  und landete in seinen Armen. Er lachte leise, sah, wie sie ihren Kopf mit den blinden Augen und den wieder trockenen, langen Haaren suchend umherwandte. Eben noch war ihm nach Reden zu Mute gewesen, nach der etwas längeren Fahrt aber war er schweigsam geworden. Jetzt wollte er handeln.

Er trug die gefesselte, unruhige Frau ohne Worte um das riesige Anwesen herum, sein Wohnhaus, das sie im Moment nicht sehen sollte. An der Rückseite befand sich, nicht allzu weit von der Auffahrt entfernt, ein gusseiserner Käfig, dessen Rückseite eine extra vermauerte, gerade Wand aus Backsteinen darstellte, so dass der oder die Gefangene im Käfig befindlich nicht sehen konnte, wo er oder sie sich befand. Robert war vorausgeeilt, als Matt mit der Schönen kam, hatte er gerade eine passgenaue, grobe, aber saubere Matratze hinein gelegt.

„Ich werde dich nicht entkleiden, meine Schöne“, sagte er mit sanfter Stimme zu ihr, in dem Wissen, dass genau dieser Satz ihr eine plötzliche höllische Angst machen würde, dass er für sie völlig überraschend kommen würde, denn er zeigte ihr ja damit, dass er durchaus an so etwas dachte. In diesem Moment begann die Wirkzeit dessen, was er jetzt zu ihr sagte oder mit ihr tat, in ihrem Geist, und genau das wollte er so haben. Er änderte in diesem Moment sein Verhalten völlig.  Ihre erschreckte Kopfbewegung zeigte ihm auch direkt an, dass sie ihm gab, was er von ihr sehen wollte. Sie versteifte sich ruckartig in seinen Armen. Er setzte sie ohne weitere Erklärung in dem Eisenkäfig ab und zog ihr die Augenbinde wieder von den Augen. Er wollte ihr in die Augen sehen können jetzt.

Er griff mit einer Hand in ihr volles, seidiges Haar und zog ihren Kopf an den Haaren ihres Hinterhauptes so weit zurück, dass ihr vor Schmerz unwillkürlich die Tränen kamen. Jetzt erstarrte sie  vom Kopf bis zu den Zehen, mit offenem Mund und großen erschreckten Augen. Er machte jetzt keine Pause mehr, stand groß und übermächtig über ihr. Nachdem er ihre derzeitige Erscheinung so, in dieser ihrer Körperhaltung, mit einem nun deutlich geringschätzigen Blick bedachte, musste er sie weiter mit seinen Worten bedrohen. Er änderte seine Verhaltensweise ihr gegenüber mit einem Mal komplett und gründlich.

„Du bist so erbärmlich, ich würde mich schämen, mit dir irgendwo gesehen zu werden, wenn sich dein Handeln herum gesprochen hätte. Du hast viel zu viel Glück, als du es dir verdient hättest, dass ich das verhindert habe! Du wolltest dem Leben feige entfliehen, es einfach so beenden. Das fasse ich nicht. Du bist dermaßen bevorzugt vom Leben, und du trittst es mit Füßen! Und so etwas dulde ich nicht!“

Um seine harten Worte zu unterstreichen, riss er ihr seinen dicken, schützenden Mantel weg, so dass sie nun nur noch in ihrem leichten da hockte. Wortlos und völlig überraschend für sie gab er ihr eine Ohrfeige, nicht sehr hart, eher laut schallend. Nun war bei ihr definitiv der Punkt für Tränen gekommen, aber die Schnelligkeit seines Handelns hielt sie noch zurück. Und in ihrer Verwirrung begriff sie nicht, dass er ihr Dinge vorhielt, die er von ihr ja unmöglich wissen konnte. Er hatte sie ja noch nicht einmal nach ihrem Namen gefragt, ihr aber seinen vorhin schon genannt. Sie schämte sich und zeigte ihm so, dass er mit seinen Vermutungen zumindest teilweise richtig liegen musste. Ihre Wangen röteten sich auf ihrer ansonsten schneeweißen Haut.

„Du bleibst jetzt hier drinnen und besinnst dich auf dein Innerstes, auf deine Mitte!“, befahl er ihr streng und fast grob. „Hier kannst du schreien, so laut und lange es dir in den Sinn kommt, hier bist du völlig alleine, es hört dich keine Menschenseele.“ Sie sah ihn nun fast so panisch an wie in der Sekunde, als sie auf dem glatten Geländer auszurutschen drohte, jede Form von Gelassenheit oder Ruhe war verschwunden, jetzt zeigte sie keinerlei Vertrauen mehr, weder in ihrem Minenspiel noch in ihrer ganzen Körperhaltung. Er sah ihre großen, wunderschönen Augen feucht werden und leicht anschwellen, aber er überraschte sie so, dass ihre eigene Vergegenwärtigung ihrer jetzigen Lage langsamer war. Und genau so wollte er sie haben, an diesem Punkt wollte er sie stehen sehen. Er wusste, Worte schmerzten mehr als die Ohrfeige, die Ohrfeige war mehr ein demonstratives Mittel. Er wollte, dass sie alleine mit sich war, wenn ihr wirklich klar werden würde, was er da eben gesagt hatte.

Er ließ die obere Käfigtür laut herunter fallen, was sie zu einem tief erschrockenen Keuchen und einem Ducken veranlasste. Insgeheim bewunderte er wieder ihren Kampfgeist, er hatte Frauen hier drinnen gehabt, die in eine blinde Panik verfallen waren. Er verschloss demonstrativ laut rasselnd die schwere Tür ganz, in der Dunkelheit war nicht zu sehen, dass Robert vorher eine durchsichtige Regenplane über die Tür gezogen hatte. Er verriegelte beide gusseisernen Ösen mit großen, kräftig aussehenden Vorhängeschlössern, die so martialisch aussahen, als wolle er einen Bären in diesem Käfig einsperren.

„Gib mir deine Schuhe!“, wies er sie grob an. Ihr erstarb ein Wort in der Kehle, aber sie gehorchte ihm nicht sofort. „Sofort, oder du wirst es bereuen, meine Schöne!“, knurrte er sie an, er musste das mit Nachdruck in seinen Worten und seinem Tonfall erzwingen, weil sie es nicht wollte und gegen ihn aufzubegehren drohte. So zog sie sich mühsam mit ihren vorne gefesselten Händen die High-Heels aus und reichte sie ihm mit zitternden Händen durch das Gitter. Hintergrund bei ihm war der, dass er nicht wollte, dass sie sich mit den scharfen Pfennigabsätzen verletzen konnte, er würde sie natürlich, von ihr völlig unbemerkt, beobachten, wenn er jetzt gehen würde, aber er konnte ihre psychische Belastbarkeit nicht einschätzen, unmöglich, denn es war ja nicht nur er, der sie nun bedrohte, sondern auch ihre ganze Lebenssituation oder auch vielleicht ein bestimmter Vorfall, der sie auf die Brücke getrieben hatte heute.

Er sah ihr ins ihr tief schockiertes Gesicht und gab seinem Minenspiel einen wütenden, dabei aber auch verabschiedenden Ausdruck, einen diskreten Ausdruck des Bedauerns. „Ich lasse dich hier alleine, schöne Frau“, informierte er seine Gefangene mit einer harten Stimme. „Denke über das nach, was ich dir eben gesagt habe. Und versuche, deinen Körper und deinen Geist wieder in Einklang zu bekommen, deine Mitte zu finden.“

Sie öffnete den Mund, aber es kam keine Silbe heraus. Er nahm noch einen letzten Blick auf sie mit, wie sie da saß, in ihrem bezaubernden Abendkleid, dem leichten Mantel, die langen Haare über die Schultern fallend, und auch das tiefe Dekolleté bedachte er, das sie ihm unbeabsichtigt dar bot. Dann  drehte er sich einfach um und verließ sie mit raschen Schritten. Er hörte nichts von ihr, als er einen Mauervorsprung umrundete und die dahinter liegende Tür betrat.

**

Dunkelheit umschloss Constanze, kroch in ihre Haut, nahm Besitz von ihr. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen…die letzten Worte des Fremden gruben sich tief in ihr Hirn. Er hatte ja Recht, das war ja das Verheerende. Er war der erste Mann, der ihr das so schonungslos gesagt hatte, und er hatte Recht damit. Wenn sie auch von unerfüllten Wünschen tief geplagt war, so hatte sie sich heute Nacht, in der letzten Nacht des Jahres, doch vergessen.

Sie sah hinaus in die von Sternen übersäte Dunkelheit, hatte aber kaum Augen für das feenhaft weiße, weiche Licht des Vollmondes, das den Wald, der sich nach beiden Seiten vor ihren Augen ausbreitete, wie eine federleichte Decke überzog. Sie hatte in diesen ersten Momenten keinen Sinn für diese außerordentliche Schönheit der Natur.

Sie fühlte eine kalte, harte Steinmauer, die sich hart und erbarmungslos in die weiche Haut ihres Rückens drückte, durch den Mantel hindurch. Sie betrachtete die saubere Matratze, auf der sie mit dem ausgebreiteten Abendkleid und dem leichten Mantel saß, mit nackten Füßen und Händen. Nichts war zu sehen außer der Mauer, einem Vorsprung sehr weit oben und dem Wald vor ihr, kein Weg, kein Zeichen von Zivilisation.

Kälte umschloss ihren Körper, drang ihr bald in jede Pore. Es war Winter, und ein paar feine Schneeflocken schwebten herab. Sie sah ihren eigenen Atem vor Mund und Nase kondensieren in der stillen Luft. Die Kälte schien von den Steinen auszugehen, von den Eisenstangen, in die Ritzen der Mauer zu kriechen, sich von überall her einen Weg zu ihrem warmen Körper zu bahnen, ihn in Beschlag zu nehmen. Sie begann, zu zittern, erst fein. Sie wusste, ihr eigener Körper erzeugte durch diese unkontrollierbaren Bewegungen Wärme, aber das würde er nicht die ganze restliche Nacht lang in einem ausreichenden Maße tun können. Dazu war es viel zu kalt.

Sie fragte sich, ob sie erst zehn Minuten hier saß oder zwanzig, oder gar länger. Zeit, die Zeit hatte für sie jeden Begriff verloren, wie vorhin im Auto schon. Jetzt aber war ihre Ruhe von eben dahin, sie begann, verzweifelte Tränen zu vergießen.

Wollte der Fremde sie bestrafen? Wollte er ihr bewusst machen, wie kalt das Wasser gewesen wäre, in das sie sich fast gestürzt hätte? Jetzt war sie im Zweifel, wie ernst er es werden lassen würde. Oder hatte er sie gar ganz verlassen? Sie kannte ihn ja überhaupt nicht… Dann würde sie warten müssen, viele Minuten, vielleicht sogar Stunden. Aufmerksam verschärfte sie ihre Sinne. Stets mit der Intention an Informationen zu gelangen. Aber sie hörte nur die Leere, die Geräusche der Natur, aber keines von ihm, also Leere. Sie griff ins Leere.

Sie begann, ihre Beine zu bewegen, ihre Sitzposition immer wieder zu verändern, sich auch hinzuhocken, auch wenn der Käfig dazu fast zu niedrig war. Die Kälte ergriff vollends Besitz von ihr,  ihre Zähne schlugen nun rhythmisch aufeinander und ihr Herz wurde ganz schwer. Dann brach es aus ihr heraus, unbeherrschbar, unaufhaltsam. Diese Situation hier, eingesperrt in einen Eisenkäfig, ihre fast vollendete Tat vorhin, und die ganze Bitterkeit und die ganze Verzweiflung und Mutlosigkeit ihres die letzten zehn oder fünfzehn Jahre verbrachten Lebens. Die Tränen sprangen ihr aus den Augen, hatten im Nu ihr Gesicht völlig benässt und ließen es noch kälter werden. Ihr Oberkörper schüttelte sich, ihr Gesicht rötete sich vor Entsetzen und Scham, und es setzte auch Resignation bei ihr ein, vor allem ob ihrer unklaren Lage, aber auch allgemein, sie konnte nicht glauben, dass sich ihr Leben noch drehen können würde. Es war sowieso alles dahin. Sie war nun völlig verzweifelt. Und sie vermutete, der Fremde würde sie wirklich in dieser Abgeschiedenheit, immer stärker frierend und auskühlend, allein lassen. Sie wusste, ihr Denken war schon nicht mehr rational, aber ihre Gefühle, die waren echt, und sie sprengten ihr förmlich das Herz. Sie gab ein hoffnungsloses, durchdringendes, klagendes Schluchzen von sich. Ihr war schon so kalt, eiskalt, lebensbedrohlich kalt. Und es kam ein Wind auf, ein eiskalt daher wehender Wind. Leicht, aber unwiderstehlich, nahm er ihre Körperwärme mit sich.

**

Matt vermutete, sie dachte, er würde sie wirklich in dieser Abgeschiedenheit allein lassen. Sein Herz schlug schneller und schneller, und er starrte geradezu gebannt auf den Bildschirm, um nichts davon zu versäumen. Sie ließ ihren Kopf hängen, wehrte sich einmal kurz gegen ihre Fesselung und gab den Versuch auf, sie lösen zu können. Wenig später setzte das Schütteln ihres Oberkörpers wieder ein. Er hörte über die Lautsprecher ihr durchdringend klagendes Schluchzen. Er schaute auf die Uhr, vierzig Minuten waren vergangen, seit er sie verlassen hatte. Und er fragte sich empathisch, wie lange einem diese Zeit vorkommen mochte, wenn die Kraft schwand und der Mut weg war, weil der Wunsch, aufzugeben, sich anschlich? Er wusste, wenn dieser Wunsch in ihr erst einmal Fuß gefasst hatte, dann wurde es Zeit, sie wieder aufzusuchen, dann konnte er sie nicht weiter belasten. Aber im Moment hatte er keine Eile, weil er sie noch ein wenig in dieser Verfassung haben wollte. Er griff nach seiner Geige.

**

Zu viele flehende Bitten in die Leere des Universums gerichtet. Erfolglos. Sie hatte geheult und geschrien, nun lernte sie es, stillschweigend zu warten und das Unvermeidliche hinzunehmen. Ihr war so eiskalt. Sie fühlte ihre Hände und Füße nicht mehr.

Und dann hörte sie die Geige des Fremden. Er spielte für sie, und das traf sie wie ein Schwall eiskalten Wassers, wie ein Fausthieb. Er spielte das „Adagio for strings“ von Samuel Barber. Die tieftraurigen, herzzerreißenden Töne ließen sie in ein wildes Heulen ausbrechen. Dann brach sie zusammen, völlig resigniert, hoffte am Ende ihrer Kraft, dass sie nun sterben durfte, unter den Klängen dieses wundervollen Instrumentes….

Und doch, diese Situationen des eiskalten und einsamen Eingesperrt Seins, die sie gerade erlebte, trieb ihren Körper und ihren Geist an, machte sie tatsächlich scharf, das erste Mal seit langer Zeit fühlte sie wieder so etwas. Sie war völlig verwirrt. Es war das Echte, das sie so empfinden ließ, sowohl an der Situation wie an dem Mann. Jeglicher Kontrolle entzogen und völlig alleine wurde ihr das plötzlich glasklar. Und eine Sehnsucht nach dem Fremden, nach Matthias ergriff sie, so stark, wie sie es nicht kannte, nie gekannt oder auch nur geahnt hatte. Überall lauerten auf sie Gefahren, Verlockungen, Täuschungen und neue Dinge, die sie interessierten oder denen sie am liebsten gar keinen Platz in ihrem Bewusstsein einräumen wollte. Sie konnte auswählen, sie konnte ganz viele aufregende Dinge erleben, sich austauschen, Bilder ansehen, sich herum treiben lassen, helfen, tolerieren, für sich oder andere werben, anklagen oder weg sehen… Aber nichts war so, wie es schien. Matthias war das aber vielleicht, und vielleicht wollte er ihr das so klar machen… Sie wusste nicht, ob ihr vor Kälte erstarrtes Hirn Wahnphantasien produzierte, aber es konnte doch sein…

Eines wollte sie nur noch in dieser eiskalten Neujahrsnacht: In die wartenden Arme von Matthias sinken dürfen.

**

Matt sah sie zusammen sinken und wusste, er musste jetzt zu ihr. Erst kurz bevor den Käfig erreiche, hörte sie überhaupt seine im Kies knirschenden Schritte. Sie rief seinen Namen, doch er antwortete nicht, denn der Klang ihrer Stimme war so verzweifelt. Er blieb erst noch stehen, war jetzt kaum noch zwei Meter von ihr entfernt, er wollte nicht mehr grausam sein, er wollte ihr Zeit geben, sich fassen zu können. Sie aber stimmte ein erschütterndes Wehklagen an, versuchte unbeholfen, sich hoch zu schieben, aber es änderte kaum etwas an ihrer Haltung, auch das Zerren an den gefesselten Handgelenken war vergeblich. Er hörte von ihr ein atemgreifendes Weinen, das tief in ihn hinein drang. Als wäre es seines, spürte er ihre Verzweiflung bis zur Resignation vollständig in seinem Bewusstsein angekommen. Jetzt war sie fast still, und er lauschte ihrem Schluchzen, das kaum hörbar, ganz leise war, so wie sie seinen ihr näher kommenden paar Schritten lauschte. Dann war er am Käfig, öffnete die Schlösser und hob die Tür knarrend hoch, durchschnitt mit einem Messer wortlos ihre Fesseln an Hand- und Fußgelenken, ohne sie dabei aber zu berühren.

Er schob  beide Arme unter sie, hob sie in seine Arme und trug sie rasch ins Warme. Er griff sich eine bereit liegende, vorgewärmte Decke, setzte sich rasch und ließ sie auf seinen Schoß sinken, während er selbst noch unbequem auf der Kante des Stuhles hockte. Er hatte den Eindruck, sie hatte noch gar nicht wahrgenommen, dass er es war, der sie hielt, und so streichelte er ihr das Haar aus dem Gesicht, so wie vorhin noch. Er wickelte sie rasch in die Decke. Sie schaute ihn an und versuchte, seinen Namen zu sagen, wurde dabei aber von ihrem wieder aufkommenden Schluchzen unterbrochen. Er zog sie ganz dicht an sich heran, sah ihr in die Augen, wollte sie an sich spüren dabei, wollte hören, was sie ihm nun zu sagen hatte.

„Matthias“, versuchte sie flüsternd, mit zitternder, bebend bittender Stimme, seinen Namen auszusprechen. „Matt“, stellte er sich ihr ernst vor und sah ihr aus dieser Nähe in die Augen. Er hielt ihren Kopf mit seiner Hand, wärmte mit der anderen ihre tauben Fingerspitzen, fühlte ihr immer noch feines Zittern am ganzen Leib. „Lass das hier den Beginn von etwas Neuem sein.“ Ihre leise Stimme war für ihn kaum vernehmbar, aber er verstand sehr gut, was sie ihm damit sagen wollte.

„Dann lasse es doch einfach geschehen“, flüsterte er, „nichts ist leichter als das, so, wie das Neue Jahr gekommen ist, kommt auch das, lasse dich treiben, vertraue mir.“ Und die Kälte, die ihr Herz betäubt hatte, wich und kam nicht wieder.

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©Matt

Leben und Tod, für mich so nahe beieinander über Weihnachten 2013…

Hallo, ihr Lieben!

Nein, dieses Mal hatte ich tatsächlich vor, die Geschichte so zu belassen. Ich erkläre euch auch gerne, warum.

Ich hatte eine sehr beschauliche Zeit über Weihnachten, doch danach mussten wir unsere Katze Bora einschläfern. Und mit „wir“ meine ich mich, ich habe sowohl die Entscheidung getroffen wie auch die beiden Spritzen gesetzt. Ich hab da einen kurzen Text, quasi wie einen Nachruf, dazu geschrieben, den stelle ich hier noch ein, zusammen mit einem Foto von ihr.

Ich hatte die Rahmenhandlung für eine Geschichte in den Tagen davor bereits im Kopf, es kamen darin eine Brücke vor, eine Bank, eine Geige, eine Frau, die ihrem Leben ein Ende setzen wollte, und ihr Retter. Mehr erst einmal  nicht.

Wir haben beide bis zum 31.12. gebraucht, um Boras Tod zu verkraften, zumal das für mich nicht das Einzige war, mir ging noch mehr im Kopf herum. Leben und Tod lagen für mich in diesen Tagen sehr nahe beieinander, ich hab sie am 27.12. eingeschläfert. Am Neujahrstag hatte ich unverhofft Zeit und war müde, also hab ich mir gedacht, fang doch einfach mal an mit Schreiben. Das tue ich oft, ich bin dann selber erstaunt, wohin die Reise manchmal dann so führt.

Tja, eine Geschichte, in der ein Mann oder eine Frau von einer Brücke springen will, und das auch noch am Heiligen Abend oder zu Silvester, das ist ein ziemlich gängiger Stoff, nichts Neues. Dass die Frau ihre Gründe dafür hat, auch, würde ich mal sagen. Ungewöhnlicher ist es schon, wenn der dazukommende Mann ein besonderes Motiv hat, die Frau zu retten. Das war hier mit der Geige und der Musik gegeben. Und richtig ungewöhnlich wird der Stoff, wenn das Matt ist, der dazu kommt.

Matt hatte einen sehr guten Grund, die Fremde vor dem Sprung zu bewahren, und der lag nicht in seiner Passion für Frauen. Damit hatte diese Geschichte für mich einen Anfangsteil, nämlich die Gedanken von Constanze, einen Mittelteil, das Eingreifen von Matt, und zwar mit seiner Geige, und einen sehr guten Schluss. Matt konnte Constanze überzeugen durch die Kraft der Musik und durch seine eigene Lebensgeschichte, die er mit ihr in der Silvesternacht zu teilen bereit war. Die Fesseln waren für Matt typisch, für mich aber in dieser Geschichte eher ein schmückendes Beiwerk.

Das war für mich ein sehr schöner Gedanke, Peter Pan würde sagen, ein wunderbarer Gedanke (der läßt einen fliegen, wenn man daran glaubt…:) ) Er hat für mich sehr gut in die Zeit der besinnlichen Feiertage gepasst und war zwar auch romantisch, aber nicht kitschig. Ich wusste nicht, wie ihr das wohl seht, ich hab es nicht so empfunden.

Ich hab in die Geschichte fast automatisch ein paar Ansatzpunkte eingebaut für einen Fortsetzungsteil. Mir ist aber erst überhaupt keiner eingefallen. Die Geschichte war einfach zu geschlossen. Keine Idee – keine Geschichte. Die Idee, wie Matt mit Constanze in dieser besonderen Nacht weiter verfahren könnte, ist mir erst heute gekommen. Ich war mir aber gar nicht so sicher, ob ich das überhaupt tun sollte. Deswegen hab ich euch gestern Nacht einfach gefragt. Ich hab mir übrigens beide Beine ausgerissen, um die Geschichte noch am 02.01.2014 on zu stellen, denn eine Neujahrsgeschichte muss sich ja wohl auch zu Neujahr zutragen, da spielen ja auch die Gefühle der Leser eine große Rolle. Ich hab sie also erst nur zur Hälfte korrigiert on gestellt und in der Nacht dann noch den Rest durchgesehen und die Bilder bearbeitet, so bis gegen 5:00, schätze ich mal. Und bis jetzt hab ich die Geschichte selber schon mindestens drei Mal einfach mit Muße und Genuss gelesen, weil sie meine Seelenwelt im Moment sehr gut wieder spiegelt.

Der Witz ist, dass ich den letzten Teil der Geschichte um Julia ja auch schon fertig habe, aber keine Idee, was Matt danach mit Charlene, der Ärztin, anstellen wird. Und die Geschichte um Nina geht ja auch noch sehr viel weiter, auch da kann ich mich im Moment nicht durchringen, den Faden wieder aufzugreifen. Aber auf die Fortsetzung der Geschichte um Constanze hab ich große Lust, zumal sich da eine Begegnung mit Nina ergeben könnte, die hochinteressant wäre…

Und wenn ich dann auch noch so nett gebeten werde, dann tue ich das natürlich auch sehr gerne, wenn mir dazu wirklich etwas Gutes einfällt. Das betrifft jede oder jedem meiner Leser, die ich aus den Kommentaren kenne, wenn ihr also einen gut begründbaren Wunsch habt, dann schreibt mir das ruhig. Aber der Krys hatte mit dieser Sache tatsächlich nichts zu tun, dem Krys schreibe ich im Moment sowieso viel zu viel, und ich hab viel zu wenig Zeit für ihn. Aber Krys und ich (liebe Grüße, Krys!), wir beide können uns aufeinander verlassen, auch, wenn ich mal „abtauche“.

So, das Internet spinnt den ganzen Abend schon, ich komme immer nur mal fast zufällig on. Ich will mal hoffen, dass ich jetzt meine Antwort auch in den Blog bekomme, und schicke euch ganz liebe Grüße! Hier stürmt es immer noch, sehr gut, um weiter zu schreiben….

A New Year`s Night Concert, Teil I (Constanze) – Die Brücke

A New Year`s Night Concert – eine Geschichte in einem oder in zwei Teilen? Was denkt ihr?

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Sie stand auf der Brücke. Sie wusste nicht, wie lange sie schon hier stand und in das dunkle, gurgelnde Wasser unter ihr starrte. Die Zeit hatte für sie keine Bedeutung mehr. Die Welt hatte für sie keinen Sinn mehr. Sie war um ihr Leben betrogen worden, und das war eine ganz normale Sache. Niemanden scherte es. Niemand machte sich die Mühe, sie zu fragen, was sie alles eingesetzt hatte, um hierher zu kommen. Vierzig Jahre war sie alt, und schon am Ende ihres Lebensweges.

„Was soll ich denn noch hier?“, dachte sie aufbegehrend und bitter und zog die Nase hoch. Der kalte Wind blies ihr direkt ins Gesicht, doch sie bemerkte es nicht einmal mehr. Die Tränen waren versiegt. Nur die Verzweiflung war geblieben, der Schmerz – und die Einsamkeit.

Es war eine gefühlte Ewigkeit her, dass sie ihn wirklich heiß geliebt hatte. Aber sie hatte ihm immer vertraut, bis heute noch. Und da stand sie nun, mit ihrem Vertrauen in eine für sie leere Hülle, Vertrauen in ein Leben ohne Inhalt mehr, sinnlos. Ihr Vertrauen war nicht berechtigt gewesen.

Sie fühlte sich leer und ausgenutzt. Sie glaubte ihm immer noch, selbst jetzt noch, sie konnte gar nicht anders. Sie war froh, jemanden gefunden zu haben, der ihr in ihrer Sinnkrise half. Und nun stellte sie fest, dass er in Wahrheit ganz weit weg von ihr war. Er meldete sich einfach nicht mehr, er ließ den Dingen einfach ihren Lauf. Wenn ihre Gefühle für ihn zur Bedrohung wurden, dann reagierte er abwehrend, er trug keine Schuld daran, dass sie von ihm emotional abhängig geworden war, dass sie ohne ihn nicht mehr leben wollte und konnte. Er sagte dann gerne, dass er ja gar nichts daran tat, dass er völlig passiv blieb. Es geschah ihm einfach alles. Er tat nichts daran.

Wenn Constanze etwas wusste, dann, dass das Gesetz von Actio und Reactio unumstößlich war, und umkehrbar. Niemand tat einfach nichts, und es geschah ihm dann alles.

Sie seufzte.

Was sich tief im Unterbewusstsein eines Mannes abspielte, und warum er einen so schleierhaften Bezug zu seinen Gefühlen hatte, war wiederum ihr völlig schleierhaft, aber sie musste es nehmen, wie es eben kam. Was meinte er wirklich, wenn er manche Dinge zu ihr sagte? Wieso taten die Männer das überhaupt? Wieso kreierten sie solche völlig unlogischen Sätze, die bei genauerer Betrachtung überhaupt keinen Sinn ergaben? Es war ja tatsächlich so, dass er sie mit solchen Aussagen nicht verletzen wollte, aber warum verstand er es denn nicht, dass er es gerade damit tat und sie vor allem auch noch zweifelnd und grübelnd zurück ließ?

Er zog sich dann zurück auf seine „Insel der Unschuld“, wie sie das nannte. `Ich bin kein schlechter Mensch, ich will dich nur nicht verletzen.` Das wusste sie ja, bewusst und willentlich wollte er sie ganz sicher nicht verletzen. Manchmal überbot er sich regelrecht in der Zuhilfenahme solcher Erklärungen. Er war ihr Mann. Er war stark, erfolgreich, er war wahrhaftig kein Weichei. Aber wenn er zu verstehen glaubte, dass sie emotional von ihm abhängig zu sein schien oder zu werden drohte, dann ergriff er die Flucht, wich ihr aus, zog sich zurück.

Und es war ihm völlig egal, ob sie das nun war oder nicht. Emotional abhängig von ihm. Er überprüfte es gar nicht, es war, als hätte er ein ausgeprägtes Frühwarnsystem dafür, und wenn das ausschlug, dann reagierte er weder kopf- noch schwanzgesteuert. Constanze wusste nicht, welcher Teil seines Hirns ihn dann steuerte. Vielleicht sein Kleinhirn, viel mehr konnte sie ihm da nicht mehr zugestehen.

Wenn sie ihn zum Beispiel fragte, ein völlig harmloser Satz: `Warum hast du das Wochenende mit deinen Freunden verbracht statt mit mir?`, hatte das meistens zur Folge, dass er sie als die Schwächere von oben herab ansah. Bildlich gesprochen und auch ganz physisch, die Höhe seines geraden Wuchses brachte es mit sich, dass er dann auf sie herab sah. Und das Beste daran war dann auch noch, dass sie sich auf einmal auch noch so fühlte. Und andererseits wollte sie sich gerne einmal in seine starken Arme fallen lassen. Wollte sich so gerne einmal auffangen lassen von ihm, wollte, dass er der Stärkere war. Und er empfand für sie dann nur Mitleid, Mitleid, das hasste sie wie die Pest. Mitleid war die denkbar schlechteste Grundlage für eine Beziehung, Mitleid, da ging sie die Wände hoch…

Ihr eigener Mann war ihr manchmal einfach ein Rätsel. Wieso kreierte er manchmal so unlogische Sätze? Heute wieder, am 31.12. des Jahres 2013. „Ich liebe dich zu sehr, um dir Vorschriften zu machen.“

Sie hatte ihm geglaubt, damals. Hatte sich gefreut, jemanden gefunden zu haben, dem sie vertrauen konnte. Sie war froh gewesen, ihn gehabt zu haben. Und nun musste sie feststellen, dass er sie auch noch belog, die ganze Zeit belogen hatte. Sie verstand ihn nicht nur nicht, er war auch noch spielsüchtig … und das hatte er die ganze Zeit vor ihr verheimlicht. Er hatte ihr Vertrauen so gründlich gebrochen, wie ein Mann es bei seiner eigenen Frau nur tun konnte.

Er hatte sich verspekuliert an der Börse. Nichts war mehr übrig, auch von ihrem eigenen Eigentum nicht mehr, auch an dem hatte er sich schadlos gehalten. Sie kam sich so ungeheuer beschmutzt und entehrt vor, fühlte sich so ausgenutzt, so hilflos preisgegeben. So hatte sie sich das Neue Jahr nicht vorgestellt, das in ein paar Minuten beginnen sollte.

Doch nicht mit ihr. So nicht. Damit war sie nicht einverstanden.

Wieder sah sie hinunter in das kalte, rauschende Wasser. Der Winterwind zerrte an ihrem Mantel, schlug ihn mehrfach zur Seite, ließ ihre wohlgewachsene Figur zum Vorschein kommen. Lange, bis tief in den Rücken reichende, dunkelblonde Haare flatterten im aufkommenden, stürmischen Wind, und ein tiefes Schluchzen wurde mit dem Windstoß davongetragen.

Langsam beugte sie sich über das Geländer, stellte sich auf die Zehenspitzen. Mit ihren verdammten High Heels war sie denkbar schlecht für ihr Vorhaben ausgerüstet, aber sie hatte zu Beginn der Silvesterparty auch noch nicht geahnt, wie es heute enden würde. Zögerlich stieg sie mit ihren glatten Schuhsohlen die Gusseisenstreben hoch. Der Regen machte sie so glitschig, dass sie fast schon von alleine vornüber gekippt wäre, wenn sie sich nicht mit wild klopfendem Herzen an einer Laterne festgehalten hätte. Sie war eine entschlossene, tatkräftige Frau. Heute war ein guter Tag zum Sterben, zumindest für sie. Sie atmete nochmals tief durch, als sie plötzlich eine männliche Stimme neben sich hörte.

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Matt war von der Silvesterparty geflüchtet. Eine Party der oberen Zehntausend, einflussreiche Menschen, funkelnder Champagner in geschliffen funkelnden Sektkelchen, kostbar funkelnde Juwelen, unglaublich teure Abendgarderobe, doch heute war ihm überhaupt nicht danach. Menschen waren so unwichtig, ihre Lebensspanne so beschränkt, ihre Absichten so klein, ihre Ränke so müssig. Heute konnte er das alles nicht ertragen. Er fuhr mit seinem Mercedes langsam durch die Stadt, sein Chauffeur war ihm eine bessere Gesellschaft als all diese aufgeblasenen und zurecht gemalten Figuren dort. Er ließ den Wagen langsam durch die alten Gassen der Innenstadt rollen, die jetzt, so kurz vor Mitternacht, wieder voller wurden. Das Feuerwerk stand so langsam an. Das Neue Jahr näherte sich unaufhaltsam. Der Mercedes kam an eine alte Brücke. Matt sah den Regen auf dem Kopfsteinpflaster in allen Regenbogenfarben schillern, ein wundervoller Anblick, beleuchtet von einer einsamen Laterne. Und an der hielt sich eine Frau fest.

Matt ließ den Wagen anhalten und betrachtete sie. Sie balancierte mit schwarzen High-Heels auf den Gusseisenstreben des Geländers, stieg noch eine höher. Ihr Mantel schlug zurück und enthüllte ihm eine wohlgeformte Figur in einem geschmackvollen, schlicht stilechten Abendkleid, ihre langen, dunkelblonden Haare schlugen wie eine Fahne im Wind. Sie konnte wohl auch diese aufgeblasenen Menschen um sich herum nicht ertragen, dachte er sarkastisch bei sich. Noch jemand, dem das zu öde war. Aber das war kein Grund, sich in den eiskalten Fluss zu stürzen…

Er richtete sich ruckartig auf. Das hier war kein Scherz, wurde ihm auf einmal klar. Die junge Frau dort wollte springen, und die Sache mit Julia war noch nicht lange her. Er erinnerte sich noch zu gut an ihre Not, er hatte sich verändert seitdem. Und wenn diese Schönheit dort gerade nichts anderes vorhatte, als ihrem Leben ein Ende zu setzen, dann konnte sie es auch ihm überlassen… Denn wie es der Zufall so wollte, hatte auch er gerade nichts anderes oder gar besseres vor.

Eilig stieg er aus dem Wagen und näherte sich der Frau. Der Wind blieb ihm ins Gesicht, so konnte sie ihn wohl auch kaum heran kommen hören. Sie sah von ihm weg, zur Laterne hin, balancierte unsicher und ungeschickt auf dem Geländer, hielt sich fest. Noch.

Ein kleines Stück entfernt von ihr, einen gewissen Abstand einhaltend, stützte er sich ruhig auf das Geländer.

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„Sie müssen tief ausatmen, meine Teure“, hörte Constanze plötzlich eine ruhige, etwas über das Tosen des Windes erhobene männliche Stimme. „Und dann unter Wasser tief Wasser einatmen. Dann geht es schneller, wenn Sie vorhaben, sich zu töten.“

Sie fuhr herum und wäre nun wirklich fast herunter gefallen. Erschrocken klammerte sie sich fest, ihr Herz tanzte einen fast unmöglichen Rhythmus, und starrte den so unversehens neben ihr erschienen Fremden an. Er trug wie sie einen teuren, schwarzen Mantel, hatte die braunen Haare in einer modischen Frisur zurückgelegt. Er wirkte auf den ersten Blick auf sie von einer zurückhaltenden Vornehmheit, aber nichts, was er trug, war billig oder gewöhnlich. Er stützte sich mit beiden Unterarmen gelassen auf das Geländer und sah über den schnell dahin fließenden Fluss, als sei das bei diesem Wetter und hier das Normalste der Welt.

„Was wollen Sie denn von mir?“, knurrte sie ihn an. „Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe!“

Er sah auf, sah sie an mit unwahrscheinlich blauen Augen, die sich in ihre brannten. „Ich wollte Ihnen nur dabei behilflich sein, es kurz und schmerzlos für Sie zu gestalten“, sagte er ungerührt, ließ ihren Blick wieder los und sah weiter in das schwarze, tobende Wasser unter sich. „Damit es schneller geht, meine Teure, und Sie nicht so lange leiden müssen.“

„Lassen Sie mich alleine!“, fauchte sie den Kerl unbeherrscht an. Sie hatte gar nicht wirklich vor, unfreundlich zu sein, er stand nur so unerwartet neben ihr.

„Das könnte ich wohl tun, aber das will ich nicht“, versetzte er freundlich und ruhig. „Geben Sie mir fünfzehn Minuten von Ihrem Leben, das Sie wegwerfen wollen.“

„Für was denn? Finden Sie denn in dieser Nacht keine willigere Gespielin für Ihren offensichtlichen Hormonüberschuss?“  Ihre Stimme sollte eiskalt klingen, doch das tat sie nicht. Sie klang einfach nur verunsichert.

„Nein“, schmunzelte er leicht, nicht überheblich, nur belustigt. „das ist es nicht. Ich will dir eine Geschichte erzählen. Nur fünfzehn Minuten, mehr verlange ich nicht. Dann lasse ich dich alleine und du kannst dich anschließend töten. Ist das ein faires Angebot?“

Sie zuckte mit den Schultern, was sie schon wieder gefährlich ins Rudern brachte. Sah den Fremden unschlüssig an. Er machte einen kultivierten, besonnenen Eindruck. Und dass er soeben einfach vom förmlichen „Sie“ auf das persönliche „du“ gewechselt hatte, hatte eine eigenartige Wirkung auf sie in diesem Moment.

„Gut, ich höre“, antwortete sie ihm leise und suchte seine unwahrscheinlich blauen Augen. Sie sah den Fremden kritisch an. Im Schein der Straßenlampe konnte sie sein Gesicht besser sehen, als er nun zu ihr aufsah. Auch war es gerade völlig windstill geworden und somit nicht mehr so kalt. Sofort fielen ihr wieder seine tiefblauen, klaren offenen Augen auf, die umringt waren von langen dunkeln Wimpern. Sie fiel wieder in seinen Blick, betrachtete seine Augen. Gelegentlich fingen sich sehr kleine Schneeflocken in seinen Augenwimpern und schmolzen zu kleinen Regentropfen, die herunterfielen, wenn er zwinkerte. Seine nassdunklen Haare lagen ihm glänzend über dem Kopf, seine Schultern zeichneten sich muskulös durch den Mantel ab, dessen schweren, teuren Stoff der Wind nur schwerlich bewegen konnte.

„Dann solltest du aber vom Geländer heruntersteigen, schöne Frau“, sagte er leise und sah zu ihr auf. „Du fällst mir sonst noch unabsichtlich ins Wasser und ich muss hinterher, um dich zu retten. Und dazu hab ich in dieser Kälte wahrhaftig keine Lust.“ Sein Tonfall verwirrte Constanze, er war befehlend, ruhig, dabei aber freundlich, und das so völlig selbstverständlich, dass sie sich tatsächlich ruhiger fühlte. Langsam setzte sie einen ihrer schlüpfrigen High-Heels ein Geländer tiefer und rutschte sofort weg. Der Fremde reagierte überraschend schnell und hielt sie schon fest am Oberarm.

„Siehst du?“, fragte er sie leise lächelnd, wieder war ein sicherer, fast befehlender Tonfall in seiner Stimme. Mit seiner kräftig stützenden Hilfe und der Laterne auf ihrer anderen Seite kletterte Constanze langsam wieder zu Boden. Sie atmete unwillkürlich tief durch und sah nun zu zum Fremden auf. Er lächelte sie wieder leise an. „So schnell stirbt es sich nicht, meine Schöne“, sagte er sanft und musterte sie im Licht der Laterne von Kopf bis Fuß. Er hielt ihren Blick einen langen, schweigenden Augenblick.

Nun wandte er sich ab, sah hinaus auf den dunklen Fluss und hinüber zu der Stadt, deren Lichter zu ihnen herüber blinzelten. Es war still um sie herum. Fast beschaulich. Leise und dünn fielen kleine Schneeflocken, Constanze sah zu, wie sie auf der warmen Haut der Hände des Fremden schmolzen.

Dann begann er, mit dunkler, weicher Stimme zu erzählen.

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„Ich bin reich geboren worden, meine Teure“, hob Matt mit seiner dunklen, weichen Erzählstimme an. Er hatte sehr wohl gesehen, dass sein Tonfall ihre Gesichtszüge entzerrt und beruhigt hatte, doch er verlor kein Wort darüber. Seine intensive Musterung ergab, dass die Fremde schön war, sowohl körperlich, schlank und zierlich, wie auch geistig, das gefiel ihm an ihr noch besser, ihr Kampfgeist, als er sie ansprach. Sie war ganz sicher aus einem wohl behüteten Nest gefallen, den Kleidungsstücken nach zu urteilen, die sie trug. Das schwarze Abendkleid war von einer erlesenen Qualität und offenbarte ihm ein tiefes, volles Dekolleté, eine schmale Taille und ihre langen, schwarz bestrumpften Beine, wenn der Wind ihren leichten Mantel hochwehte. Dieser Mantel, den sie da trug, der machte ihm ganz klar, dass sie selten zu Fuß durch die unwirtliche Kälte ging. Und die High Heels hatten ganz sicher über zweitausend Euro gekostet.

Sie sah ihm forschend in die Augen, was Matt seinerseits in die angenehme Lage versetze, in ihre sehen zu können. Lange, schwarze Wimpern umrahmten große, leuchtend grasgrüne Augen mit einem rauchgrauen Ring um die Iris. Die Fremde war leicht geschminkt, die kümmerlichen Reste wichen nun vollends dem herabströmenden Regen. Aber das machte sie in seinen Augen nur noch begehrenswerter, sie trotzte dem Sturm und den Elementen, und wahrscheinlich auch dem Leben.

Auf ihren langen, wahrscheinlich goldblonden Haaren lag ein irisierender Schimmer, fast wie auf dem Kopfsteinpflaster. Diese Frau suchte den Tod so entschlossen? Das weckte Matts Neugier, er wollte von ihr wissen, warum das, was sie dazu trieb, und was sie davon hielt, wenn er ihr Leben, das sie eh abschütteln wollte, an sich nahm. Er sah ihre vollen Lippen leicht bläulich anlaufen, die Nacht war wahrhaftig nichts zum Herumstehen auf Brücken. Aber sei`s drum.

Er öffnete seinen Arm und legte ihn vorsichtig um ihre recht breiten Schultern. Als sie sich nicht gegen ihn wehrte, zog er sie sanft ganz dicht an sich heran, legte den Mantel um ihre zierliche Gestalt, so dass sie vom Regen etwas geschützter war. Nun sahen sie wohl aus wie ein Liebespaar, sinnierte er, aber ihr Zittern ließ langsam nach, sie entspannte sich in seinem festen, ihr Halt gebenden Griff und lehnte den Kopf leicht und erschöpft von einem ganz offensichtlich in ihr tobenden Kampf an seine Schulter.

„Nun, das alleine ist wahrlich kein Verdienst“, fuhr er dann leise fort. Er fühlte mehr, als er sah, wie sie nickte. „Ich habe alles bekommen, was ich benötigte, auch eine strenge Erziehung meines liebevollen Vaters. Nur einmal, einmal lag er daneben in dem, was er tat. Ich trage es ihm nicht nach, aber es hatte die von ihm erwünschten Folgen für mein Leben. Mein Leben nahm damals eine andere Richtung.“

Er schwieg einen gedankenverlorenen Moment, fasste die Fremde fester. Dann sprach er langsam weiter. „Ich selbst war musikalisch sehr begabt. Die Musik bedeutete mir mehr als Geld und Geschäfte. Und ich glaubte an mich und an meine Begabung. Ich konnte mit meiner Geige die Menschen zum Lachen oder zum Weinen bringen. Meine Geige war eines meiner überzeugendsten Mittel, zu kommunizieren. Wie oft habe ich nur für mich selbst gespielt, neu komponiert. Den Menschen und besonders den Frauen um mich herum mit Musik gesagt, dass ich sie liebte. Doch mein Vater sah diese meine Entwicklung mit wachsender Besorgnis. Ich bin sein einziger Sohn und sollte einmal sein Erbe antreten. Ich sollte in die Finanzwelt eingeführt werden, nicht in die Musik. Und so nahm er mir meine Musik, für Geld und ein gesichertes, reiches Leben. Wir hatten einen fürchterlichen Streit, er vergaß sich völlig im Zorn, bezeichnete mich als Versager, als Schwächling, als Träumer, und dann zerbrach er meine Geige.“

Matt musste für einen Moment aufhören, zu sprechen. Die Emotionen, die er so lange tief in sich verschlossen hatte, brachen wieder durch und überwältigten ihn schier mit ihrer so lange tief in ihm wütenden Kraft. Verzweiflung, Zorn und Sehnsucht nach der Musik, die er so sehr liebte. Er schluckte einmal schwer und fühlte, wie die Fremde scheu einen Arm leicht und wie tröstend um seine Taille legte. Das half ihm dabei, weiter zu sprechen, ihr sein Herz zu öffnen.

„Traurig wanderte ich durch diese Stadt, meine Heimatstadt, die du dort drüben siehst. Ihr ist viel von ihrem Flair geblieben. Das Kopfsteinpflaster, die alten Häuser, das stuckverzierte Rathaus am Marktplatz und natürlich die alte Kirche.“ Er lächelte auf sie herunter, in seinen Augen stand Schmerz, als sie ihren begegneten. „Dann kam ich zu der Brücke. Es ist immer noch die gleiche, sie sieht immer noch aus wie damals. In der Hand hielt ich meine zerbrochene Geige, streichelte sie immer wieder. Es war der letzte Tag des Jahres, wie heute. Eigentlich hätte ich meinen ersten Auftritt vor einem kleinen Publikum gehabt, doch ich hatte den Termin nicht eingehalten. Wie konnte ich auch, meine geliebte Geige war ja nicht mehr. In diesen Minuten hier auf der Brücke war das für mich eine mehr als willkommene Ausrede.“ Er sah sich über den Kopf der Fremden auf der regenglänzenden Brücke um, die einen so wichtigen Moment seines Lebens gesehen und bewahrt hatte für ihn, wie es sich nun zeigte. Das war ein tröstlicher Gedanke. Die Fremde schwieg, störte ihn nicht.

„Traurig stand ich hier oben“, sprach er schließlich von alleine weiter, „auf der Brücke an dieser Laterne hier, und starrte in das dunkle Wasser unter mir, fragte mich, was wohl auf mich warten würde, wenn ich hineinspringen würde. Ein kurzer Kampf, doch dann sollte doch Frieden auf mich warten. Kein Kampf mehr, kein Schmerz, keine Zwang, zwar ohne meine Geige, aber ich wäre unerreichbar für sie alle. Ich wollte nur diese eine Geige, sie war mir wie eine Geliebte, und als mein Vater sie zerbrach, zerbrach er auch mein Herz. Fast war es mir, als hätte mein alter Herr mir ein Messer durch mein Herz gejagt, so schmerzte es mich, den abgebrochenen Hals meiner Geige sehen zu müssen, etwas, das niemals hätte sein dürfen.“ Wieder schwieg er einen langen, gedankenversunkenen Moment. Wie lange hatte er an seine geliebte Geige nicht mehr gedacht! Und wie jung war er damals gewesen, wie drangvoll, wie lebendig! Und wie sehr hatte er die Klänge seiner Geige geliebt!

„Lange stand ich da, alles war ruhig um mich herum. Ich begann, mich immer weiter nach vorn zu beugen, stand schon auf den Zehenspitzen, als mich ein Gedanke wie eine Hand zurück riss. „Wer hat mir das Recht gegeben, mein Leben zu beenden?“, fuhr mir ein Gedanke glasklar durch den Sinn.“

Er unterbrach sich, als sie ihm antwortete, voller Schmerz und Trotz: „Was schert die denn dein Leben? Es gehört dir alleine und du kannst damit machen, was du willst!“ Ihre Stimme klang zornig. Er lächelte nur.

„Nein“, sagte er zu ihr und nahm sie bei beiden Schultern, drehte sie sanft zu sich herum. „Dieses Leben gehört nicht mir allein. Hast du einmal daran gedacht, wie vielen Menschen du begegnen wirst, wie vielen Menschen du helfen kannst, wenn du weiterlebst? Hast du einmal daran gedacht? Ich weiß, dass ich ein Musiker bin, denn nur ein Musiker weint um sein Instrument. Das hat mir geholfen, wieder diese Brücke zu verlassen und ohne meine Geige nach Hause zu meinem Vater zurück zu kehren, dieser wunderbare Gedanke.“

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Der Fremde sah Constanze fest in die Augen, als er das Letzte sagte. Sie sah es ihm an, was ihn diese Einstellung an Kraft gekostet haben musste, und wie schwer es für ihn gewesen sein musste, sein Leben nach anderen Maßstäben auszurichten. Sie standen sich so dicht gegenüber, dass nur noch ein Hauch von Nichts sie trennte. Dieser Mann beeindruckte sie. Machte ihr Hoffnung, sie konnte nicht anders, obwohl sie sich selber schalt, wie dumm das war. Er hielt weiter ihren Blick.

„Ich bin in zwei Minuten wieder hier. Zwei Minuten ist alles, worum ich dich bitte, schöne Frau. Dann darfst du dich frei entscheiden, von mir weiter nicht mehr beeinflusst.“ Sein Blick hatte so etwas Eigenartiges, etwas Angespanntes, etwas Erwartungsvolles, fast Fiebriges. Constanze nickte, sie konnte es ihm gar nicht abschlagen.

„Dort drüben steht eine Bank, da ist es etwas geschützter als hier, wenn du nichts dagegen hast.“

Ohne auf ihre Antwort zu warten, drehte er sich mit ihr im Arm um, ging auf die Bank zu, entfernte das Wasser notdürftig, das darauf lag, und legte ihr seinen eigenen, warmen Mantel zusätzlich um die Schultern, fürsorglich und freundlich. Constanze kamen bald die Tränen. Dabei machte er eine einladende Handbewegung. Sie folgte zögernd, setzte sich und sah den Fremden etwas hilflos an.

Er ließ sie wortlos allein, und sie starrte weiter in das Wasser, überlegte sich, ob sie nun springen sollte oder nicht. Doch wäre das nicht ein Verrat an dem Vertrauen, das dieser Mann scheinbar in sie setzte? Und warum hatte dieser Mann diesen so eigenartigen Einfluss auf sie? Ihre Gedanken von vorhin waren vergangen, abgezogen wie Rauch. Wer war er nur? So etwas wie ein Engel? Und wo war er denn jetzt so plötzlich auf einmal hin? Sie war ihm nicht mit den Augen gefolgt.

Tief in Gedanken versunken hörte sie ihn deswegen auch nicht wieder kommen und erschrak, als auf einmal die ersten tiefen, vollen, getragenen Töne einer Geige über den kleinen Fluss schallten. Sie sah zur Brücke und erblickte den Fremden, der die Geige an sein Kinn gehoben hatte, den Bogen wieder nahm, ihn vorsichtig ansetzte und die erste Melodie über den Fluss klingen ließ.

Traurig, weinend… anklagend.

Der Fremde, der Musiker wurde davongetragen in einer Musik, die aus seiner Seele kam. Alle seine Emotionen machten sich Raum, verborgene Wut, Enttäuschung, verdrängte Bitterkeit schwangen in jedem Ton mit, den er spielte.  Und Constanze saß hier auf dieser Bank und hörte ihm zu. Wusste, dass sein Herz heilte, mit jedem weinenden Klang, der zu ihr herüber drang. Wusste, dass auch ihr Herz zu heilen begann. Nach einer Weile stoppte er, wandte sich um und sah sie lange an.

„Danke“, sagte er nur schlicht. Constanze zuckte leicht zusammen, als er bei ihr war und sie seine Hand auf ihrem Oberarm spürte. Sie fuhr etwas zu ihm herum, sah ihn aus geröteten, tränenfeuchten Augen an. Er hatte wirklich eine Geige. Er hatte sie dabei, und nach seinen Worten war es das erste Mal, dass er sie wieder spielte, nur für sie als Einzige in einem eigentlich viel größeren Publikum, dass ihm hätte lauschen sollen. Er setzte sich dicht neben sie und hielt ihr wortlos die Geige entgegen. Es war ein wunderschönes Musikinstrument, eine Stradivari, wundervoll gepflegt. Das glatte Holz schmiegte sich warm in ihre Hände. Und noch wärmer schmiegte sich dieser Sinneseindruck in ihr Herz. Eine Geige, die von seinen Schmerzen erzählen konnte, die mit ihm weinte und mit ihm lachte, so, wie es das alte Musikinstrument getan hatte. Und er ließ sie sie halten, er vertraute ihr, dass sie sie nicht ein zweites Mal zerbrach.

„Wofür denn?“, fragte sie ihn.

„Dafür, dass du die Musik in mein Herz zurück gebracht hast, schöne Frau.“

Constanze schluckte. Dieser Satz war magisch. Sie wusste keine Antwort, also lächelte sie nur und meinte leise: „Spiel, spiel für die heute Nacht, deren Herz weint, wie deines.“ Er lächelte nur, nahm seine Geige wieder an sich wie das Kostbarste, das er hatte.

„Wer bist du?“, fragte sie ihn. „Ein guter Geist?“  Er lachte laut auf, fast fröhlich.

„Wäre es denn so unwahrscheinlich, anzunehmen, dass dir ein guter Geist erscheinen wird, wo du doch dein Leben einfach wegwerfen willst? Nein, ich bin kein Engel. Oder doch, ein Engel der Nacht vielleicht“, endete er leise.

„Ein Engel der Nacht?“

Noch immer verstand die einsame Frau nicht.

„Ja, ein Engel der Nacht.“ Er schob seine Geige vorsichtig unter ein festes Tuch, sorgsam, um sie vor der Feuchtigkeit zu schützen. Und genauso sorgsam holte er ein Tuch heraus, einen langen, schwarzen Seidenschal.

Nun sah sie ihn mit ihren grünen, wundervollen Augen an, öffnete leicht ihre Lippen, und auf einmal verstand sie, was er mit dem Tuch vorhatte. Erschrocken wich sie ein wenig zurück.

„Was ist, schöne Frau? Hast du nun Angst um dein Leben, welches du doch vor einer Stunde noch achtlos wegwerfen wolltest? Antworte mir! Somit hängst du doch mehr daran, als du gedacht hattest.“

Beschämt senkte Constanze den Kopf, und als sie wieder aufsah, hatte er sich wieder erhoben und stand nun dicht vor ihr.

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Matt konnte ihr Parfum riechen, das ihn umschmeichelte und wie für sie geschaffen war. Er sah ihr aus dieser Nähe in die großen, weit aufgerissenen Augen, dann setzte er sich ruhig wieder neben sie.

„Ich schlage dir einen Handel vor, schöne Frau. Du wirst mit mir gehen für diese eine Nacht und den folgenden Tag. Was immer dich umtreibt, ich werde anwesend und für dich da sein. Ganz gleich, wo dich dein Weg hinführen wird, ich werde dir zuhören. Ich werde mich um dich kümmern, ich werde deine Wünsche erkennen und wahr werden lassen, und das nur in dieser einen Nacht schon. Und nach Ablauf des morgigen Tages kommst du wieder hierher zurück, zu dieser Brücke. Und wenn du es dann willst, werde ich dir deinen Willen lassen. Aber den Tod werde ich dir nicht bringen, den du dir so sehr herbeisehnst. Wenn du es dir gut überlegt hast, werde ich für dich tun, was nötig ist, um dich von diesem Abgrund fort zu schaffen, an dem du gerade stehst.“

Die Frau sah ihn sprachlos an. Was er ihr offerierte, war so ungewöhnlich wie selbstlos, das wusste er sehr wohl. Aber auch, wenn er sie mit diesem Schal fesseln wollen würde, einer, der so auf einer Geige spielen konnte, dem traute sie einfach nichts Böses mehr zu. Er hatte ihr Herz für sich eingenommen, und das sah er in ihren großen, strahlenden Augen, die zu ihm aufsahen.

Noch drei Minuten bis Mitternacht. Sie sah sich aufatmend um. Die Menschen kamen von allen Seiten auf die Straßen, lachend, jubelnd, feiernd. Und der Fremde hob erneut die Geige an sein Kinn, und als die alte Turmuhr Zwölf schlug, spielte er erneut für sie, und nur für sie. Und er spielte so wunderschön auf seiner Stradivari, eine sehnsuchtsvolle Melodie diesmal, keine traurige mehr. Die Töne drangen in ihr Herz, sagten ihr, dass er sie irgendwie liebte. Sagten ihr, dass auch er diesen Tag als etwas ganz Besonderes ansah, diesen letzten Tag des Jahres.

Sie sah zu ihm auf und seine Augen liebkosten ihr Gesicht. Erhaschten jede Kleinigkeit. Hinter ihm sah sie das Neujahrs-Feuerwerk in der nun regenfreien Nacht den Himmel erleuchten, filigran, farbenfroh wie ein Regenbogen, voller wilder Energie, wunderschön. Feuerwerke hatte sie immer schon geliebt. Minuten, die für sie wie die Ewigkeit waren.

Dann ließ das Feuerwerk wieder nach und er hörte zu spielen auf. Er legte die Geige vorsichtig auf seinen Schoß und holte den schwarzen Seidenschal wieder hervor. Vertrauensvoll reichte sie ihm beide Hände, und er umwickelte sie fest mit dem Tuch vor ihrem Leib, verknotete das Tuch so sorgfältig, dass ihr völlig klar sein musste, sie würde diesen Knoten niemals alleine wieder öffnen können. Aber hätte sie das gewollt, hätte sie ihm ihre Hände nicht gereicht.

Der hochgewachsene Mann legte die kostbare Geige vom Tuch gut geschützt in die nun gefesselten Arme der schönen Frau. Dann stand er auf und kniete sich vor sie, fesselte ihr auch die schmalen Fußgelenke. Matt lächelte sie von unten herauf an, als ihre Blicke sich trafen, und ihre Blicke versanken ineinander, konnten sich nicht mehr trennen. Er hob sie einfach mit beiden Mänteln um sie herum zu sich in seine Arme, die zierliche Frau, die ihm so unversehens die Musik, und, noch wichtiger, seine Geige wieder geschenkt hatte. Dann verschwanden beide im Dunkel der Nacht zurück über die Brücke, beleuchtet nur von dem schwachen Licht der Laterne und den letzten Resten des ersterbenden Feuerwerks. Der letzten Nacht des Jahres.

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©Matt

(Die Geschichte ist so geschlossen. Wollt ihr dennoch wissen, wie es weiter geht? Überzeugt mich doch davon! Einiges hab ich absichtlich offen gelassen… lg)